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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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»Ereignisse hinterlassen ihre Spuren im Energiefeld eines Ortes. Sensitive Menschen spüren das. Sie fühlen, wenn irgendwo ein Verbrechen stattgefunden hat, empfinden das Leid vergangener Generationen … Mein Großvater konnte, als er einmal das Kriegsgräberfeld bei Verdun besuchte, dort die Schreie von Tausenden von elend verreckten Soldaten hören, deren Überreste da unter den Äckern liegen. Er dachte, er würde wahnsinnig werden.«
    »Aber das waren doch sicher seine eigenen Erinnerungen, die da angesichts der endlosen Reihen von Kreuzen wieder in ihm aufgestiegen sind«, warf ich ein.
    Isabell schüttelte den Kopf. »Nein, er war viel zu jung damals, nicht er hat dort im Ersten Weltkrieg gekämpft, sondern sein Vater.«
    »Ist der dort gefallen?«
    »Nein, Gott sei Dank nicht. Deswegen ist es ja auch ein so seltsames Phänomen gewesen. Mein Großvater muss wirklich in diesem Moment auf eine energetische Spur aus der Vergangenheit gestoßen sein.«
    Das war mir jetzt ehrlich gesagt etwas zu kompliziert. Aber wenn nach dem Energieerhaltungsgesetz Energie niemals verloren geht, dann schien es mir durchaus plausibel, dass jedes Ereignis Auswirkungen auf ein uns umgebendes und durchdringendes Energiefeld haben konnte. Ja, dass es vielleicht sogar eine Art Spur darin zurückließ, einen Kratzer, eine Auswölbung, eine Schwingung … was auch immer. Entsprechend sensitiv begabte Menschen konnten die vielleicht lesen. Hatte auch ich womöglich eine solche Begabung, oder war alles, was mir in letzter Zeit widerfahren war, nur Einbildung? Spökenkiekerei?! Auch der geheimnisvolle Fremde vielleicht?
    Ich schüttelte den Kopf und riss mich zusammen. Nein, von dem würde ich Isabell nicht auch noch erzählen. Der sollte mein ganz privates Geheimnis bleiben. Mir war, als spürte ich seinen kühlen Atem in meinem Nacken, und sogleich löste er kleine erotische Sensationen in mir aus. Ehe ich vor Verlegenheit rot werden konnte, sprang ich auf und hetzte in mein Zimmer, um das Rollenbuch zu holen.
    »Lass uns anfangen«, sagte ich, als ich zurückkam, und schlug die Szene auf, die ich vorbereiten musste. Wie die ganze Elektra war auch diese Stelle für unsere Abschlussaufführung etwas bearbeitet worden, was meines Erachtens der Verständlichkeit diente und dem Publikum entgegenkam.
    Wir legten mit verteilten Rollen los.
    Elektra: Mutter, du zitterst ja!
    Klytämnestra: Wer fürchtet sich vor einem Schwachsinnigen?
    Elektra: Wie?
    Klytämnestra: Es heißt, er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden und weiß nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.
    Elektra: Ich seh’s in deinen Augen und an deinem Zittern, du weißt, dass er noch lebt. So groß ist deine Furcht, dass du bei Tag und Nacht an nichts anderes denken kannst, als nur an ihn. Dass dir das Herz verdorrt vor Grauen, weil du weißt: Er kommt.
    Ich stockte und spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Mir war mit einem Male, als wäre ich in die Haut meiner Mutter geschlüpft … in dem Moment, als sie den Brief vom Notar in der Hand hielt und so plötzlich leichenblass wurde. Ich fühlte auf einmal, was sie gefühlt haben musste, und ihre Angst war meine Angst. Mir war schlagartig klar, dass sie auf Blankensee etwas Furchtbares erlebt hatte und dass es noch immer nicht zu Ende war. Sie fürchtete sich davor, dass es jederzeit wiederkommen könnte, dass ER wiederkommen könnte, der ihr dieses Grauenvolle angetan hat.
    Isabell sah mich verunsichert an, weil ich den Dialog unvermittelt unterbrochen hatte. »Brauchst du eine Pause?«
    Ich nickte und Isabell kochte frischen Kaffee.
    Plötzlich empfand ich es als eine große Belastung, dass ich so wenig über meine Familie wusste. Was wäre, wenn es auf Blankensee eine vergleichbare Bluttat wie in der Elektra gegeben hätte? Wäre meine Mutter dann nicht vollkommen im Recht, und würde ich dann nicht auch dem Ort, der durch eine solche furchtbare Erinnerung belastet war, für immer den Rücken kehren? Irgendwie erschien mir das Gut auf einmal wie ein Albtraum.
    Wir tranken schweigend den Kaffee, und als wir mit dem Dialog fortfuhren, war mir, als hätte das Stück einen unmittelbaren Bezug zu mir. Auf jeden Fall war es so düster wie meine Gedanken.
    Klytämnestra: Albträume sind etwas, was man los wird.Wer daran leidet und kein Mittel findet, sich zu heilen, ist ein Narr. Ich werde bald herausgefunden haben, was bluten muss, damit ich wieder schlafen kann.
    Elektra: Was bluten muss? Willst du, um die Götter

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