Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
mich, flehten um Hilfe, verlangten Verbandszeug, Medikamente … Ich hatte nichts, womit ich ihnen helfen konnte, und musste sie von mir stoßen, um mich selber vor den Panzern der Roten Armee in Sicherheit zu bringen. Links und rechts von mir schlugen Granaten ein, zerfetzten Leiber und ließen abgerissene Gliedmaßen auf mich niederregnen. Ich kroch auf allen vieren über den vereisten Boden, um nicht auf Schusshöhe zu sein. Auch eine Vampirin konnte zerfetzt nicht überleben. Ich schleppte mich gegen den eisigen Ostwind über Verstümmelte und Leichen hinweg und flehte darum, dass am Ende meines Weges nicht auch Robert tot und kalt auf dem Acker liegen würde, über den der unaufhörlich fallende Schnee sein Leichentuch deckte.
Irgendwann war ich hinter der Kampflinie und konnte mich aufrichten und weiter in Richtung Stalingrad laufen. Die Orientierung fiel mir nun leicht, denn ich musste nur dorthin eilen, woam Horizont der Nachthimmel immer wieder unter dem dumpfen Grollen der Geschütze gelb aufflackerte und die Blitze explodierender Granaten die Dunkelheit grell durchschnitten. Die Furcht, zu spät zu kommen und Robert nicht mehr lebend anzutreffen, trieb mich vorwärts.
Dann erreichte ich die ersten Ausläufer der Stadt Stalingrad, um die diese Schlacht schon seit Monaten tobte. Der Morgen dämmerte bereits herauf und ich verbarg mich schnellstens im Keller eines zerschossenen Gebäudes. Den ganzen Tag über riss der Kampflärm nicht ab. In der Ferne grollten die Geschütze und in meiner unmittelbaren Nähe schlugen immer wieder heulend Geschosse von Panzerfäusten ein, die krachend detonierten und Mauern zum Einsturz brachten. Stalinorgeln jaulten nervenzerfetzend und Maschinengewehre ratterten unaufhörlich. Immer wieder bebten Erde und Mauern unter den Einschlägen der Feldgranaten und die Splitter flogen bis in mein Versteck. Erst als es dunkel wurde, ebbte die Kampftätigkeit etwas ab und ich konnte mich hervorwagen, um meine Suche nach Robert fortzusetzen.
Es war ein irrsinniges Unterfangen und schon bald sank meine Hoffnung. Was tat ich hier eigentlich
?
Wie sollte ich in dieser Trümmerlandschaft, dieser Ruinenwüste, einen einzelnen Menschen finden
?
Das war doch vollkommen aussichtslos. Das Einzige, was ich wusste, war die Nummer seiner Einheit, und so fragte ich jeden deutschen Soldaten danach, der meinen Weg kreuzte. Ich bekam viele Hinweise, aber sie waren widersprüchlich, und so irrte ich kreuz und quer durch das Häusermeer, in dem es kaum noch begehbare Straßen, geschweige denn deren Beschilderungen gab. Robert fand ich nicht.
Es war der Zufall, der mir in die Hände spielte. Ich geriet in einen Hinterhalt der Roten Armee, die im Häuserkampf Straßenzugfür Straßenzug durchstreifte, um Verstecke der Wehrmachtssoldaten aufzustöbern. Sofort wurde ich von einigen Russen auf übelste Weise belästigt, bis ein Offizier dazwischentrat. Er war groß und blond und hatte ein gut geschnittenes Gesicht, das trotz der unwirtlichen Verhältnisse tadellos rasiert war. Er trug eine Felljacke und hohe Stiefel. Er rief die Soldaten mit wenigen herrischen Worten zur Ordnung und bedeutete mir, ihm zu folgen. Er führte mich in ein verborgenes Refugium, wo ein Feuer aus herausgerissenen Fensterrahmen brannte und Soldaten Wodka zu einem streng riechenden Essen tranken.
»Möchtest du
?
«, fragte er auf Russisch, aber ich schüttelte den Kopf.
So zog er mich in eine mit Decken verhängte Nische, wo ein notdürftiges Lager errichtet war. Er konnte kein Wort Deutsch, aber die Sprache seiner Hände verstand mein Körper auch so. Ich fürchtete ihn nicht, denn ich hätte ihn, wenn er mir wirklich lästig geworden wäre, mit einem raschen Biss töten und entfliehen können, ehe irgendeiner aus der betrunkenen Runde etwas gemerkt hätte. Aber er wirkte freundlich, sein Körper war attraktiv und seine sexuelle Begierde traf auf meine Verzweiflung, sodass ich mich ihm hemmungslos in die Arme warf, um die Angst in mir zu betäuben. Aber dabei dachte ich verzweifelt an Robert und flehte stumm um sein Leben.
Doch noch ehe wir uns vereinigen konnten, schlugen in unmittelbarer Nähe mehrere Granaten ein. Ich fühlte, wie meine Zähne aus dem Oberkiefer hervorbrachen und wollte schon zubeißen, als jemand die Decken fortzog und panisch schrie. Der Offizier schob mich von sich und sprang auf. Ein Adjutant half ihm in die Uniformjacke, und während er sich noch die Hose zuknöpfte, legte der Adjutant auf mich an und
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