Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
einem Sturz abfangen konnte. Ich blieb stehen, starrte ihn zornig an und rieb mir meine schmerzenden Handgelenke.
»Du bist ein Monster!«, schnauzte ich ihn an.
Er zuckte die Schultern. »Wenn du meinst.«
»Du … du bist eiskalt! Du hast weder eine Seele noch ein Herz!« Er schwieg, und weil er nun doch ein wenig betrübt aussah, reuten mich meine harten Worte, und ich fügte stammelnd hinzu: »Jeden… jedenfalls … könntest du wenigstens versuchen … mir zu erklären … etwas Tröstliches sagen … dein Beileid ausdrücken … eine … eine … menschliche Regung zeigen.«
»Während du mich einen Mörder nennst, der deineFreunde umgebracht hat? Du weißt offenbar auch nicht, was du willst.«
Wir schwiegen beide. Ich, weil er ja recht hatte, und er, weil …?
»Mir scheint, du bist verwirrt«, sagte er schließlich.
»Ach ja? Was wärst du denn, wenn du grade aus dem Schlaf erwacht wärest und deine Freunde tot neben dir fändest? Und wenn du feststellen müsstest, dass sie offensichtlich von einem Vampir getötet wurden … und der einzige Vampir weit und breit steht dann plötzlich hinter dir?«
Amadeus trat in eine schattige Ecke der Küche zurück, während meine Füße von den ersten Sonnenstrahlen des Tages umspielt wurden, welche durch die Fensterscheibe fielen. Die Regenwolken hatten sich offenbar verzogen.
»Du hast recht«, sagte er nun wieder sanfter. »Dein Verdacht musste auf mich fallen. Aber der Schein trügt, ich war es nicht. Ich habe andere Möglichkeiten, zu speisen.«
Seine Kaltschnäuzigkeit machte mich wahnsinnig. Hatte er denn wirklich kein Herz? Nebenan lagen meine Freunde in ihrem Blut und er redete ungeniert über Blutmahlzeiten! Ekel vor ihm stieg erneut in mir auf, und ich konnte mir nicht erklären, wieso ich ihn überhaupt jemals attraktiv gefunden hatte. Alles deutete auf die Bluttat eines Vampirs hin und niemand außer ihm konnte sie begangen haben.
Aus irgendeinem Grund musste er die Kontrolle über sich verloren haben. Dafür sprach auch der Zustand der beiden Jungen, die nicht einfach nur gebissen und ausgesaugt worden waren, sondern buchstäblich bei lebendigem Leibe zerfetzt wurden.
Aber das sagte ich ihm nicht, sondern fragte: »Du streitest aber nicht ab, dass ein Vampir sie getötet hat?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Es sieht in der Tat so aus. Zumindest Mandy scheint durch einen Vampirbiss gestorben zu sein. Bei den beiden anderen bin ich mir nicht sicher … Ich habe noch nie einen Vampir derart seine Kontrolle verlieren sehen, dass er so viehisch mordet.«
Ich erinnerte mich an die kühle Berührung in der Nacht, die mich kurz aus dem Schlaf geweckt hatte. Das sanfte Streicheln einer kalten Hand über meine Wange … den forthuschenden Schatten, als ich die Augen aufschlug …
»Dann leugnest du auch nicht, dass du in der Nacht an meinem Schlafsack gestanden hast … dass du mich berührt hast? Wolltest du mich auch aussaugen? War deine Gier so unersättlich?«
Amadeus machte erregt einen spontanen Schritt auf mich zu und achtete dabei nicht auf das Sonnenlicht. Es traf ihn an den nackten Händen und sofort schreckte er mit einem dumpfen Stöhnen zurück. Er hielt mit der einen Hand die andere am Handgelenk umfasst, deren Haut wässrige Blasen aufwarf und sich vor meinen entsetzten Augen abschälte. Rohes Fleisch wurde sichtbar. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
»Was … was hast du?«
Er verbarg die Hand hinter seinem Rücken. »Nichts … eine Unvorsichtigkeit von mir … nicht schlimm, eine Allergie gegen das Sonnenlicht. Es heilt sehr schnell wieder.«
Bleiern hing das Schweigen im Raum.
»Was du eben gesagt hast, Louisa …«, begann er schließlich zögernd, »… dass ich neben dir gestanden hätte heute Nacht … dich berührt hätte. Wie kommst du darauf, dass ich es war?«
Ich sah ihn verwirrt an. Wollte er das jetzt auch noch abstreiten?
»Es war eine kalte Hand, die mich im Schlaf streichelte. Abgesehen davon, dass sich niemand außer dir mir gegenüber eine solche Geste herausnehmen würde, war es die typische Berührung eines Vampirs!«
»Ja, das mag sein, aber es war nicht die meine. Ich habe nicht neben dir gestanden in dieser Nacht, ich war … unterwegs … in Berlin …«
Er räusperte sich und mir dämmerte langsam, was er da Schreckliches gesagt hatte.
»Du willst doch nicht behaupten, dass ein anderer Vampir …?«
Nein, das war ja völlig unwahrscheinlich und die albernste Ausrede, die mir je zu Ohren gekommen
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