Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
sich dann erneut in den Polizeifunk ein.
»Ja, hier … drei, wir sind auf dem Gut … ja … am Tatort … Es sind drei Leichen … eine Frau und zwei Männer … Sieht ziemlich übel aus.«
Kaum hatte ich mich gesetzt, rollte auch der Wagen des Kommissars vor den Haupteingang des Gutshauses. Er war selber gefahren und wurde von einer jungen Bereitschaftspolizistin mit schicker Kurzhaarfrisur begleitet.
»Hinrichs«, stellte er sich vor. »Kriminalhauptkommissar Hinrichs. Ich bin der Leiter des Schutzbereiches Teltow-Fläming. Das Gut liegt in meinem Zuständigkeitsbereich.« Er sah mich aus klaren Augen mit einem scharfen Blick an. »Sie sind …?«
»Berger, Louisa Berger. Äh … mir … äh … gehört das Gut.«
Ich ärgerte mich, dass ich so stammelte. Ich tat ja grade so, als müsste es mir peinlich sein, ein Gut zu besitzen. Na ja, wir befanden uns ja schließlich im ehemaligen Arbeiterund Bauernstaat, und da rechnete man ja schon von vornherein damit, von den letzten Einheimischen als Gutsbesitzer schief angesehen und in die Kategorie »Wessi« und »Ausbeuter« einsortiert zu werden. Hinrichs schien jedoch von einem anderen Schlag zu sein.
Er war höchstens Anfang vierzig, in eine Kombination aus Sakko und sportlich geschnittener Hose gekleidet und machte einen gepflegten Eindruck.
»Deswegen muss man sich doch nicht schämen«, sagte er angesichts meines Gestammels. Ich sah ihn dankbar an. »Könnten Sie sich für mich zur Verfügung halten?«, fragteer mit angenehm sachlicher Stimme in mittlerer Tonlage, die zu seinem Erscheinungsbild sehr stimmig war. »Ich möchte mir erst einmal einen Überblick verschaffen und mir von den Kollegen von der Bereitschaftspolizei Bericht erstatten lassen.«
Ich nickte und er ging hinüber zu den Polizisten und verschwand wenig später mit den beiden älteren im Gutshaus.
Als er nach etwa fünfzehn endlosen Minuten wieder auftauchte, sah er sichtlich mitgenommen aus. Auch wenn er in seiner Laufbahn vermutlich schon einige Tote gesehen hatte, überstieg der Anblick meiner drei toten Freunde wohl auch bei ihm die Grenze des Erträglichen.
Er setzte sich zu mir auf die Bank und schwieg eine Weile.
»Verraten Sie mir, wie Sie dieses Massaker überleben konnten?«, fragte er schließlich.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich … ich … weiß es nicht.«
»Wo haben Sie sich aufgehalten, als es geschah?«
Ich schluckte. Dieser Mann war klug. Er stellte sofort die wesentlichen Fragen und … brachte mich damit auch prompt in Schwierigkeiten. Kein Mensch, der gesehen hatte, wie die Jungen zugerichtet waren, würde mir abnehmen, dass ich neben ihnen geschlafen und nichts davon bemerkt hatte.
Also griff ich zu einer Notlüge.
»Ich … ich war nicht im Raum … Ich war mal zur Toilette … Ich konnte nicht schlafen … Wir hatten gefeiert … Alkohol getrunken …«
Keine Regung im Gesicht des Kommissars zeigte mir an, ob er mir meine Aussage abnahm.
»Wie lange waren Sie dort?«
Ich merkte, wie mir die Angst langsam die Kehle zudrückte… Ich riss mich da in etwas rein … aber nun gab es kein Zurück mehr, denn dann würde ich mich gleich verdächtig machen. Wie lange hatte der Täter wohl gebraucht?
»Ich … ich weiß nicht«, sagte ich stockend. »Ich hab nicht auf die Uhr gesehen und … äh … ich habe nachts im Dunkeln gar kein gutes Zeitgefühl.«
»So ungefähr? Nur eine Hausnummer für uns als Anhaltspunkt«, versuchte er mir eine präzisere Angabe zu entlocken. Ich musste passen. Mich da festzulegen, schien mir zu riskant.
»Und als Sie zurückkamen, ich meine, von der Toilette, was haben Sie dann getan? Ist Ihnen nichts Verdächtiges aufgefallen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, alles war ruhig und ich bin wieder in meinen Schlafsack gekrochen und habe weitergeschlafen … bis morgens. Es hat geregnet und wir haben ausgeschlafen … Ich habe Kaffeewasser aufgesetzt. Dann bin ich zurück und wollte sie wecken.«
Er fragte mich nach den genaueren Umständen, unter denen ich dann die Toten gefunden hätte, und ging dabei recht behutsam vor.
Ich berichtete, wie ich den Schlafsack von Thomas geöffnet und seinen zerfetzten Oberkörper gesehen hatte. Dann brach ich ohne Vorwarnung zusammen.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich mit einem Kissen unter dem Kopf und mit einer leichten Wolldecke zugedeckt auf der Steinbank und Marc stand neben mir.
Er starrte mich ohne jede emotionale Regung an, und ich sah an seinen roten, verquollenen Augen, dass er
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