Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
klammerte sie sich wieder an mich. Ich streichelte sie, ihr Haar, ihren Rücken, während ihr zarter Körper von trockenem Schluchzen geschüttelt wurde.
Ich hätte so gerne etwas Tröstendes gesagt, aber angesichts der Dimension unseres gemeinsamen Schmerzes fehlten mir die Worte. Ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass ich die Stärkere von uns beiden wäre, aber in diesem Moment schien ich es tatsächlich zu sein. Vielleicht lag es daran, dass Isabell Mandy länger gekannt hatte als ich und mit ihr darum auch sehr viel enger befreundet gewesen war … wie auch immer. Irgendwann fand ich die Kraft, aufzustehen und uns einen Tee zu kochen.
Als die dampfenden Tassen auf dem niedrigen Sofatisch standen, kehrte auch meine Sprache zurück.
»Sie werden den Täter finden«, sagte ich in dem Bewusstsein, dass mich in meinem Schmerz nur die Vorstellung trösten konnte, dass man diese Bestie ihrer gerechten Strafe zuführte. Rache war das Einzige, was mich aufrecht hielt. Und so nahm ich an, dass es bei Isabell ähnlich sein würde.
Ich hatte recht. Wut und Hass überlagerten für einen Moment ihre Trauer und ihren Schmerz. Sie sah mich aus ihren großen Augen an und darin funkelte ein erschreckender Zorn.
»Ich bringe ihn um, wenn er mir unter die Augen kommt«, stöhnte sie auf. »Wenn mir dieses Monster über den Weg läuft, bringe ich es eigenhändig um!«
Dieser Ausbruch schien wie eine kleine Befreiung gewesen zu sein. Denn nachdem ich zustimmend genickt hatte, griff sie zur Teetasse und trank in kleinen Schlucken.
Ihre Tränen versiegten. »Wie sollen wir nur ohne die beiden hier leben?«, stellte sie schließlich die Frage, die auch mich im Moment am meisten beschäftigte.
Allerdings war damit der reinste Horror verbunden. Es war für mich einfach unvorstellbar, dass die beiden nicht mehr da sein sollten, nie mehr mit uns am Küchentisch oder hier in der Wohndiele sitzen würden, weder Mandys Lachen noch Stefans Kochgerüche die WG erfüllen würden. Also sagte ich lieber gar nichts auf diese Frage.
Es muss gehen, dachte ich und wusste doch auch nicht wie!
Als Marc kam, besserte sich die Stimmung immer noch nicht, und nachdem wir eine Weile trübsinnig beisammengehockt hatten, verschwand jeder in sein Zimmer.
»Du kannst auch gerne bei mir schlafen«, bot Marc an, aber ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab.
»Nein, Marc, danke, heute nicht … ich …«
»Ist schon gut«, unterbrach Marc mein Gestammel. »Ich verstehe dich … aber wenn du in der Nacht aufwachst und doch eine Brust zum Anlehnen brauchst, dann komm wirklich rüber … nur zum Kuscheln … mehr nicht …«
Ich streichelte dankbar seine Wange und gab ihm einen flüchtigen Kuss. Wenn mir nach irgendetwas in dieser Situation überhaupt nicht der Sinn stand, dann war es Sex.
Gut, dass er das zu verstehen schien.
Ich hatte Marc und Isabell und Trauer und Frust in Berlin erwartet, aber nicht Besuch zu nächtlicher Stunde.
Mitten in der Nacht warf jemand Steinchen gegen das Fenster meines WG-Zimmers.
Ich hörte die Geräusche erst nur unbewusst im Halbschlaf, dann aber weckte mich die Beharrlichkeit auf, mit der immer wieder etwas gegen die Scheibe prallte.
»Was für besoffene Spinner«, murmelte ich verärgert und wälzte mich schlaftrunken aus dem Bett, um nachzusehen, wer da seinen Hausschlüssel nicht fand oder ins falsche Loch gesteckt hatte. Beides kam hin und wieder vor, denn die alten Türen in Kreuzberg sahen für jemanden, der nicht mehr ganz nüchtern war, alle ziemlich gleich aus.
Doch schon beim ersten Blick auf die Straße war ich verblüfft über den dunklen Fremden, der da unter der Straßenlaterne stand. Doch als er seinen Kopf hob und ich in sein bleiches Gesicht sah, da stockte mir fast der Atem, weil ich überhaupt nicht darauf gefasst war, Amadeus zu sehen.
Was um alles in der Welt machte er hier?
Ich riss das Fenster auf und rief leise hinunter: »Was … was willst du hier, mitten in der Nacht, bist du noch bei Sinnen?«
Er lachte leise. »Ich habe doch ›Bis bald‹ gesagt, und du weißt doch, ich reise nicht bei Tag!«
Das hatte ich natürlich nicht ernst genommen, da ich nicht geglaubt hatte, dass er es wagen würde, mir noch einmal unter die Augen zu treten. Offenbar hatte ich mich in ihm getäuscht. Er wagte es nicht nur, sondern schien auch kein bisschen schuldbewusst oder gar zerknirscht zu sein. Das machte mich wütend. Wie konnte er meine Wünsche so komplett ignorieren?
»Verschwinde«, rief ich
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