Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
treten, doch ehe sie ihn noch anfassen konnten, spuckte er einen Schwall Blut und brach zusammen.
Man gab uns Decken und bot uns sehr hilfsbereit Übernachtungsmöglichkeiten an, aber ich nannte die Adresse von David McDarren, und so riefen freundliche Helfer ein Taxi, in das wir schnellsten einstiegen, bevor ein aufdringlicher Reporter sein Blitzlicht auf uns richten konnte, um ein Sensationsfoto zu schießen.
Wir hockten auf der Rückbank und Hannah legte weinend ihren Kopf an meine Schulter. Sie hatte sich bei dem Sprung am Knöchel verletzt, litt aber nicht nur deswegen große Schmerzen.
»Ist Vati tot
?
«, fragte sie leise und ich hätte so gerne Nein gesagt.Aber ich befürchtete, dass es anders war, und so sagte ich, meine eigene Verzweiflung zurückhaltend: »Es ist besser für ihn, tot zu sein, als ihnen lebend in die Hände zu geraten.«
Und das war wirklich unser einziger Trost.
»Wie hieß der Amerikaner, mit dem Oma in die USA gegangen ist?«, fragte ich meine Mutter später.
Sie sah mich fragend an. »Warum willst du das wissen?«
Ich ging nicht auf ihre Frage ein. »Hieß er McDarren?«
Meine Mutter nickte. »Hat sie etwas über ihn geschrieben?«
»Nur dass er ihr zur Flucht geraten und danach geholfen hat.«
Ich hielt ihr ein Foto hin, auf dem meine Großmutter mit einem Amerikaner in Uniform zu sehen war. »Ist er das?«
Meine Mutter blickte nur widerstrebend und flüchtig auf das Foto, nickte aber.
»Er sieht gut aus und er schaut sie sehr liebevoll an. Meinst du nicht, sie hat damals, nachdem ihr Mann auf der Flucht erschossen wurde, nicht auch Trost gebraucht? Trost, den du ihr nicht geben konntest, weil du ja selber um deinen Vater trauertest.«
Meine Mutter schwieg und schnitt Brot auf, das keiner von uns beiden anrühren würde.
»Vielleicht hast du recht, vielleicht habe ich ihr unrecht getan. Es waren schwierige Zeiten damals … für jeden von uns.«
Wir konnten beide nichts essen, aber am Abend saßen wir zusammen im Wohnzimmer und sahen uns Oma Lysettes Fotos an. Es waren überwiegend kleine quadratische Schwarz-Weiß-Bilder mit gezacktem Rand, nicht geradescharf und brillant. Dennoch fand ich sie hoch interessant. Einige waren Schnappschüsse von meiner Mutter als Säugling und als kleines Mädchen, was ich sehr süß fand, andere zeigten das Gut Blankensee während des Umbaus zur LPG und den Jugendwerkhof. Ein Foto mit den streng in Reih und Glied aufmarschierten Zöglingen beim morgendlichen Fahnenappell vor dem Heimleiter hatte ich schon vorher zur Seite gelegt. Ich wollte nicht, dass es meiner Mutter in die Hände fiel und alles wieder in ihr aufwühlte.
Der Mann sah zwar schleimig aus, dennoch hätte ich ihm diesen widerwärtigen Missbrauch so spontan nicht zugetraut. Aber solchen Menschen sah man ja selten an, was für perverse Triebe sie in sich trugen!
Ich musste an Amadeus denken. Eigentlich wusste ich doch von ihm genauso wenig. Wenn er wirklich ein Vampir wäre, hätte er doch schon von seiner Natur her einen unwiderstehlichen Blutdrang, und gewiss fehlte nicht viel, ihn vollends zu einer mörderischen Bestie zu machen, die in ihrer Gier Menschen aussaugte oder sogar förmlich zerriss!
Mich schauderte bei dem Gedanken, dass ich einem solchen Wesen so nah gewesen war, ja, ihm sogar meine Liebe schenken wollte!
Auf einigen Fotos war das Gutshaus noch in seinem ursprünglichen Zustand zu sehen und bis auf ein Schild – Sowjetische Kommandantur Teltow-Fläming – deutete nichts darauf hin, dass es von den russischen Besatzern konfisziert worden war. Es hatte im Krieg dem Anschein nach nur wenig Schaden erlitten und sogar die Freitreppe war bis auf einige Säulen der Balustrade unversehrt.
Es schmerzte mich, dieses schöne Anwesen zu sehen, zu wissen, dass es mir gehörte, und dennoch nie wieder dorthin zurückzukönnen.
Ich räumte schließlich die Fotos zusammen und sagte seufzend: »Du hast recht, Mama, es sind nur Erinnerungen und werden es auch bleiben. Das Gut hat den Vanderborgs ganz offensichtlich kein Glück gebracht. Seit es in meinem Besitz ist, sind dort schon wieder schreckliche Dinge geschehen. Ich glaube inzwischen auch, dass es verflucht ist. Ich werde es verkaufen und nie mehr dorthin zurückkehren.«
Mit einem unüberhörbaren Seufzer der Erleichterung zog mich meine Mutter in ihre Arme.
I
sabell war von ihren Dreharbeiten mit Sören zurück in der WG und rief mich natürlich sofort völlig aufgelöst an. Bei mir hatte sich der
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