Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
selbst die Theorie mit den Wölfen weniger absurd als der Gedanke, dass ausgerechnet jetzt, nachdem er Jahrzehnte vor sich hin gemodert hatte, jemand aus meiner Familie ein so starkes Interesse an dem Gut haben könnte, dass er sogar über Leichen ging, um es in seinen Besitz zu bringen!
Wer sollte das denn auch sein? Oma Lysette aus Amerika vielleicht? Eine betagte alte Vampirdame, die mit einem Vorschlaghammer Thomas’ Brust zertrümmert hatte?
Ich schüttelte den Kopf, konnte aber nicht verhindern, dass sich erneut Amadeus in meine Gedanken schlich, und plötzlich schien die Theorie des Kommissars nicht mehr ganz so absurd. Galt sein Interesse vielleicht gar nicht mir, sondern dem Gut? Wer war er überhaupt? Wo kam er her? Was machte er auf dem Gut? Im Grunde war es nur für ihn wertvoll, denn er war der Einzige, der über den Zugang zum geheimen Gewölbe verfügte, und das war vermutlich als Refugium für einen Vampir nicht mit Gold aufzuwiegen!
Wie naiv war ich eigentlich, mir von ihm den Traumprinzen vorspielen und Märchen erzählen zu lassen, während er vielleicht ganz egoistische Pläne verfolgte? Panisch fragte ich mich, ob er nicht vielleicht ein Nachfahre von jenem geheimnisvollen und grausamen Karolus Utz war und im Auftrag der Blutrache unterwegs war.
Wütend über meine Leichtgläubigkeit fuhr ich zurück nach Berlin, und noch während der Fahrt reifte in mir der Entschluss, doch noch einmal nach Blankensee zu fahren. Ich würde die Chronik holen, um endlich die ganze Geschichte meiner Familie zu erfahren. Bei der Gelegenheit würde ich mit Amadeus Klartext reden, und wenn er der Täter war, würde ich ihn überführen und gnadenlos der Polizei ausliefern. Egal ob er ein Vampir war oder nicht.
Natürlich würde ich es nicht ohne Personenschutz tun. Schließlich war ich keine Selbstmörderin. Ich parkte den Käfer vor unserem Haus in Kreuzberg und rief noch im Auto sitzend Kommissar Werner an.
»Ich habe es mir überlegt«, sagte ich knapp. »Ich werde das nächste Wochenende auf Gut Blankensee verbringen. Wenn Sie mir Polizeischutz stellen, spiele ich für Sie den Lockvogel.«
»Kein Problem. Ich freue mich, dass ich Sie überzeugen konnte.«
»Ach ja, und es wäre nett, wenn Sie ein Treffen mit diesem ehemaligen Kollegen von Ihnen, diesem Herrn Kolopke, arrangieren könnten.«
Ich hörte Werner leise lachen. »Wird gemacht, Frau Berger. Sonst noch Wünsche? Vielleicht eine Brötchentüte zum Frühstück?«
Jetzt wurde er aber albern. Ich lehnte dankend ab und legte auf.
Am Donnerstag war noch ein Vorsprechen an einem Berliner Boulevardtheater, wo sinnigerweise ein paar Rollen in einem Vampirmusical zu besetzen waren. Wenn ich da genommen wurde, hatte ich erst mal für ein Jahr ausgesorgt.
Isabell hatte sich dort ursprünglich auch bewerben wollen, war aber nun durch die Ermordung unserer Freunde psychisch völlig fertig und wollte nicht gehen. Ich fühlte mich zwar auch nicht gerade in Hochform, fand aber, dass ich blass und mit Ringen unter den Augen doch deren Vorstellungen vielleicht ganz gut entsprechen konnte. Und da ich lieber mit Isabell als alleine dort hingehen wollte, bearbeitete ich sie so lange, bis sie sich schließlich doch aufraffte.
»Ich gehe aber nur aus Solidarität zu dir mit«, sagte sie, »weil du einen Job brauchst. Ich kann auch noch zwei Semester weiter auf Bafög studieren.«
Wir mussten uns nicht mehr groß stylen, da wir sowieso seit Tagen nur in schwarzen Sachen herumliefen. Natürlich hatten wir auch keine neuen Rollen vorbereitet und mussten auf unser Repertoire von der Schauspielschule zurückgreifen.
Als wir im Theaterfoyer warteten, stellte sich heraus, dass Isabell schon Vampirerfahrung hatte, denn sie verriet mir, dass sie in einem Studentenfilmprojekt in ihrem dritten Semester mal die Olga von Seifenschwein in Der kleine Vampir gespielt hatte.
Unwillkürlich musste ich kichern, denn mir wehte sofort Olgas extraordinäres Parfüm wieder um die Nase: Muffti eleganti !
»Stimmt«, nickte Isabell und in ihre großen schönen Rehaugen trat zum ersten Mal seit Tagen wieder ein Hauch von Glanz.
»Trag das vor«, empfahl ich ihr, und obwohl sie den Kopf schüttelte, merkte ich, dass sie langsam doch ein echtes Interesse an diesem Vorsprechen zu entwickeln begann.
Nachdem etwa zwölf Mädchen vor uns drin gewesen waren, kam ich an die Reihe. Ich ging auf die Bühne, und weil ich nichts anderes hatte, gab ich ein Stück aus dem Elektra-Monolog. Doch
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