Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
unrecht gehabt, und ich war mir in diesem Augenblick so gut wie sicher, dass nur Amadeus als Mörder meiner Freunde infrage kam. So zivilisiert er auch auftrat, er trug ein archaisches, blutgieriges Monster in sich, das er ganz offensichtlich nicht beherrschen konnte.
»Pst! Kein Wort«, hörte ich seine Stimme mehr unbewusst an meinem Ohr.
Ich wollte Widerstand leisten, war aber etwas irritiert, weil er nicht wie erwartet sofort zubiss, sondern seinen Körper eher schützend über mich warf und nun offenbar versuchte, mich in die Deckung des Schilfs zu ziehen.
»Sei ruhig«, flüsterte er, und als ich protestierend nach einer Erklärung verlangte, drückte er mich auf den feuchten Boden nieder und deutete wortlos auf den See hinaus.
Eine dichte Nebelwand lag über dem Wasser und mir stockte der Atem, als ich daraus das leise Geräusch gleichmäßigen Ruderschlags hörte. Wenig später teilte sich der Nebel und ein breiter, düsterer Kahn hielt genau auf uns zu. Er war von flackernden Fackeln illuminiert und in der Mitte stand die hoch aufgerichtete, hünenhafte Gestalt eines Mannes. Der Feuerschein der Fackeln tauchte ihn in rötliches Licht und ließ ihn urtümlich und wild erscheinen. Sein hellblondes Haar leuchtete in der Nacht, und ich fragte mich, wer der Fremde wohl sein mochte. Kam er aus einer mythischen Welt? Das Ganze wirkte so, als würde der Fürst des Hades mit seinem Nachen den Grenzfluss Styx überqueren, der die Welt der Toten von jener der Lebenden trennte. Nutzte auch er diese besondere Nacht, um auf der Erde zu erscheinen?
Die Ruder wurden eingezogen und der Kahn lag nun ruhig auf dem schwarzen Wasser.
»Wer … wer ist das?«, fragte ich flüsternd und glaubte an eine Geistererscheinung.
Eduard Mörike ging mir durch den Kopf – Die Geister am Mummelsee .
Das, was du da siehst, ist Totengeleit …
Die Wasser … sie brennen und glühn …
Zum Meer verzieht sich der Weiher …
Ich zitterte bei der Vorstellung, dass sich in dieser Nacht auch ein Schlund im Blankensee auftun könnte, der Geister und Wasserleichen ausspie, die rachedürstend nach den Lebenden griffen.
Wenn das dort draußen auf dem See aber Menschen waren, so bewiesen sie zumindest Sinn für effektvolle Inszenierungen. Als frisch gebackene Schauspielerin beeindruckte mich das schon, als in den Uferschlamm niedergedrücktes Mädchen eher weniger.
So versuchte ich noch einmal, eine Erklärung von Amadeus zu bekommen. »Was soll die Show? Wer ist das?«
Die sonst so samtige Stimme von Amadeus war rau und bedeutungsschwer, als er flüsterte: »Utz!«
Im ersten Moment sagte mir das gar nichts, dann aber fiel mir die angebliche Blutfehde ein. »Karolus Utz?«
Amadeus nickte stumm.
Beide starrten wir wie gebannt durch das schützende Schilf auf den in der Mitte des Sees liegenden Kahn. Fasziniert sah ich, dass dort Bewegung entstand und neben Utz zwei Begleiter auftauchten: ein riesiger Farbiger, in schwarzes Leder gekleidet, und – mir blieb die Luft weg – eine faszinierend schöne Frau mit langen, lockigen rotblonden Haaren, die im Fackelschein wie Flammen um ihren Kopf zu lodern schienen. Sie trug einen eng anliegenden schwarzen Catsuit und eine raue Jacke aus einem Wildtierpelz– Graufuchs oder gar Wolf … Alle drei wirkten verwegen und wie aus einer nordischen Sage oder einer Wagner-Oper entsprungen.
Dieser Gedanke ließ mich plötzlich an der Theorie von Amadeus zweifeln. Zu inszeniert wirkte der Auftritt, als dass ich mich noch länger fürchten konnte.
Noch einmal fragte ich also flüsternd: »Du nimmst mich auf den Arm! Was soll der Zirkus? Ist das eine Überraschung für mich? Seefestspiele vom Blankensee? Was sind das für Leute. Was wollen sie hier?«
»Dich«, flüsterte Amadeus mit nahezu tonloser Stimme, die nicht gerade auf ein amüsantes folkloristisches Event hindeutete. »Sie wollen dich! Dein Blut für das Blut der zahllosen Männer aus dem Geschlecht der Grafen von Przytulek, die durch die Blutfehde starben. Du bist in allergrößter Gefahr.«
»Und du?«, wisperte ich verstört. »Was ist mit dir?«
»Ich bin kein Vanderborg. Wenn Utz mich verfolgt, so hat das andere Gründe!«
Ich kam nicht mehr dazu, nachzufragen, was das denn für Gründe waren, denn eine plötzliche Bewegung auf dem See zog unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Die Ruder wurden wieder ins Wasser gelassen und mit unglaublich schnellen Schlägen hielt der Kahn nun genau auf uns zu. Panik ergriff mich, und Mörikes
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