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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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frühen Nachmittag gesehen. Jamestown Park.
    Und die Erinnerung war wieder da.
    Der Eisverkäufer. Vor neunzehn Jahren. Miami. Ein Park in Little Havana.
    Der Tag, an dem Claire verschwunden war.

5.
    Es war ein Albtraum. Zu oft schon hatte Alec diese Szenerie erlebt.
    Streifenwagen mit rotierenden Blaulichtern. Jeder Zugang zum Park blockiert. Hölzerne Sperren und grellgelbe Absperrbänder, um die Neugierigen fern zu halten. Überall Uniformierte, die die Menschenmenge in Schach hielten.
    Etwas abseits stand ein Paar, bleich und verängstigt. Die Eltern. Die Mutter nahm sich mit aller Kraft zusammen und klammerte sich an den Arm ihres Mannes, während ihr Tränen über die Wangen strömten. Immer wieder schluchzte sie auf, und der Mann drückte ihre Schultern – ob zu ihrem oder seinem Trost, war nicht zu erkennen. Neben ihnen stand ein junger Polizist, der nicht in der Lage war, den Verzweifelten Trost zu spenden.
    Ihr kleines Mädchen wurde vermisst.
    Alec schlüpfte unter dem Absperrband durch und ging zu seinem Wagen.
    Er war hier nicht zuständig, denn jede Kindesentführung galt als Sonderfall. Es blieb der örtlichen Polizei überlassen, ob sie das FBI zu Hilfe rief oder nicht, und bis jetzt war kein offizielles Ersuchen ergangen. Zudem gab es keine Anzeichen, die für eine Verbindung zwischen dieser Entführung und dem Fall Cody Sanders sprachen. Alec war aus Höflichkeit gekommen. Er kannte den Detective, der die Ermittlungen leitete, und hatte ihm angeboten, sich den Fall näher anzusehen. Er hoffte, etwas zu finden, das auf eine Gemeinsamkeit hinwies und ihnen helfen könnte, beide Kinder zu finden.
    In beiden Fällen gab es Fakten, die sowohl auf ein und denselben Täter als auch auf zwei verschiedene Personen hindeuteten. Es kam darauf an, unter welchem Aspekt man die Taten betrachtete.
    Einerseits waren die Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Zunächst die zeitliche Nähe – zwischen beiden Entführungen lagen nur knapp achtundvierzig Stunden. Dann die räumliche Nähe – ein Fall von Kidnapping im Süden von Baltimore, der andere in Arlington, eine Entfernung von ungefähr fünfzig Meilen. Aber auch zwei andere Punkte sprangen ins Auge.
    Erstens waren beide Entführungen mit hohem Risiko verbunden und entsprachen nicht der üblichen Vorgehensweise von Kidnappern, die sich meist leichtere Opfer suchten. Cody war auf dem Heimweg von der Schule entführt worden, in aller Öffentlichkeit. Überdies war er ein Kind, das nicht so leicht zu überreden war und seinem Entführer gewiss ein gesundes Misstrauen entgegengesetzt hatte. Und Chelsea, das kleine Mädchen, war mitten im belebten Park aus ihrem Buggy geholt worden. In der Nähe hatten sich Scharen anderer Kinder und Erwachsener aufgehalten, und die eigene Mutter war nur wenige Meter entfernt gewesen.
    Die zweite Gemeinsamkeit war das Fehlen jeglicher Spuren in beiden Entführungsfällen. Anders, als die Medien ihre naiven Zuschauer glauben machen wollen, werden die meisten Kidnapper rasch gefasst. Entweder zählen sie zum Bekanntenkreis des Opfers oder haben die Tat ziemlich nachlässig verübt. Dass es sich bei den vorliegenden Fällen um zwei verschiedene Täter handeln sollte, die zur gleichen Zeit und in solch räumlicher Nähe zuschlugen, hielt Alec für mehr als unwahrscheinlich.
    Allerdings gab es einen wichtigen Punkt, der für die Annahme sprach, dass beide Fälle doch nichts miteinander zu tun hatten: die Kinder selber.
    Sexualtäter bevorzugen ausgewählte Opfer, was Alter, Hautfarbe und Geschlecht betrifft, und halten sich an ihr Muster, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Cody Sanders, ein neunjähriger, blauäugiger Junge aus einem der ärmeren Viertel Baltimores war das genaue Gegenteil zu Chelsea Madden, einer farbigen Fünfjährigen aus der gut situierten Vorstadt Arlington. Allein schon aufgrund dieser Tatsache würden die Profiler in Quantico rasch zu dem Urteil kommen, dass es zwischen beiden Fällen keinen Zusammenhang gab.
    Dennoch gab es eine innere Stimme, die Alec einflüsterte, dass es zwischen beiden Entführungen eine Verbindung geben musste. Wenn sie doch nur etwas finden könnten, um es zu beweisen! Nur eine kleine Gemeinsamkeit, eine winzige Übereinstimmung …
    Öfter, als Alec zugeben wollte, hatte er solche Ahnungen gehabt. Dann hatte er stets ungewohnte Wege eingeschlagen, die letztlich zu dem vermissten Kind führten. Jahrelang war er deswegen Zielscheibe des Spotts seiner Kollegen gewesen. »He, Donovan«,

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