Die Dunkle Erinnerung
ernstlich glauben, dass es da draußen einen Verbrecher gab, der Kinder um des Profits willen raubte und der seit Jahrzehnten unbehelligt sein Unwesen trieb, weil er zu gut organisiert, zu diszipliniert war.
»Wann war das?«
Die Frau zögerte, als wünschte sie, Alec hätte genau diese Frage nicht gestellt, doch sie wusste, dass sie um die Antwort nicht herumkam. »1985.«
Alec rechnete rasch nach. »Vor neunzehn Jahren?«
»Ich weiß, wie verrückt das klingt, aber ich weiß genau, was ich sage.« Nun war kein Zögern mehr in ihrer Stimme. »Es war derselbe Mann.«
»Beschreiben Sie ihn.« Alec nickte dem jungen Officer zu, der alles gewissenhaft notierte.
Miss Baker beschrieb den Verdächtigen als einen durchschnittlich aussehenden Mann in mittleren Jahren. Ein Typ, wie man ihn in der Großstadt zu Dutzenden sah. Nachdem sie geendet hatte, zögerte sie wieder und fuhr dann fort: »Aber es war nicht sein Gesicht, das mir so bekannt vorkam.« Zögernd setzte sie hinzu: »Es waren seine Hände.«
»Sie haben seine Hände erkannt?« Das war nun wirklich sehr unwahrscheinlich, aber schließlich klang ihre ganze Geschichte so.
»Wie er die Hände bewegte … diese Zaubertricks …« Sie hielt inne, als würde ihr plötzlich bewusst, wie verrückt das klang.
Eine Frau sieht einen Mann, und der erinnert sie an jemand, den sie neunzehn Jahre zuvor gesehen hat, und zwar an einem Tag, den man getrost als den schlimmsten ihres Lebens bezeichnen kann. Alec kamen die Worte eines kleinen Mädchens in den Sinn: Er konnte zaubern. Ich hab gewusst, dass er mir nicht wehtut.
Er musste verrückt sein, wenn er die Aussage dieser Frau auch nur einen Augenblick ernst nahm. Selbst für ihn, dessen Ruf sich auf Vorahnungen gründete, war das ein gewagter Sprung. Doch Alec musste diesen Sprung tun, dessen war er sich bewusst. Er musste auf seine innere Stimme hören, die nun nicht mehr flüsterte, sondern schrie. Diese Frau konnte ihm mehr geben als Hinweise zu den Fällen Chelsea Madden und Cody Sanders – sie konnte ihn zu dieser raubgierigen Bestie führen, die es seit Jahrzehnten auf Kinder abgesehen hatte.
»Würden Sie den Mann wiedererkennen?«, fragte er.
»Ja.« Nicht der leiseste Zweifel in ihrer Stimme.
Sie würden ihm die Hölle heiß machen. Besonders wenn er mit der Einschätzung dieser Zeugin falsch lag.
»Officer …«, Alec schaute auf das Schildchen am Revers der Uniform, »Officer Lamont, besorgen Sie mir den Namen dieser Eiskrem-Franchise.«
»Kauffman Farms«, sagte Dr. Baker.
Alec schnaubte ungläubig. Diese Frau steckte voller Überraschungen. »Besorgen Sie mir einen Namen und die Adresse dieser Kauffman Farms«, sagte er zu Lamont. »Ich muss einen der Chefs sprechen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. Schon nach sieben. »Schätze, ich brauche auch seine Privatadresse. Dann rufen Sie Detective Smith an und sagen ihm, dass ich Dr. Bakers Story nachprüfen will und Sie und Ihren Partner zur Unterstützung mitnehme.«
»Ja, Sir.«
»Ach ja … und sagen Sie ihm noch …« Manchmal musste man gegen die Regeln verstoßen. »Richten Sie ihm aus, dass ich Dr. Baker mitnehme.« Alec warf der Frau einen fragenden Blick zu. Am besten konnte er diesen Kerl erwischen, wenn sie ihm zeigte, wer es war. »Falls sie nichts dagegen hat.«
Die Frau nickte.
Officer Lamont zog fragend eine Braue hoch, sagte aber nichts. Dann eilte er davon, um sich ans Telefon zu hängen.
Alec wandte sich wieder an seine Zeugin. »Einen Augenblick noch, Dr. Baker.« Er ging außer Hörweite und zog sein Handy hervor.
Als Cathy an den Apparat kam, sagte er: »Ich brauche alle Infos über eine Frau namens Erin Baker. Sie hat promoviert, unterrichtet an der Uni in Georgetown. Fang dort an und sieh zu, ob du noch mehr findest, auch über eine Kindesentführung in Miami im Jahre 1985.«
»Wer ist diese Frau?«
»Eine mögliche Zeugin im Fall Chelsea Madden. Sie scheint … nun, nicht die zu sein, die sie vorgibt.« Sie schien viel mehr zu sein. »Ich will wissen, ob sie glaubwürdig ist.«
»Irgendeine Verbindung zu Cody Sanders?«
»Weiß noch nicht. Möglich wär's.«
»Was ist los, Alec?«
Er zögerte, denn er wusste, dass nicht einmal mehr Cathy ihm glauben würde. »Ich glaube, wir haben den ›Magician‹ gefunden.«
6.
Isaac Gage begutachtete das Chaos, das er angerichtet hatte.
Die Cops hatten sämtliche Eingänge zum Park abgeriegelt. Eine Menschenmenge hatte sich versammelt, Schaulustige aus der
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