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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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Nachbarschaft standen in Grüppchen beisammen und tauschten Meinungen über die Entführung aus. Ein halbes Dutzend Streifenpolizisten patrouillierten über das Gelände, manche hielten die Anwohner in Schach, andere stürzten hastig einen Kaffee hinunter und bedauerten, dass sie draußen bleiben mussten, während die aufregende Jagd im Park stattfand. Und wie aufs Stichwort bellten nun aufgeregt die Suchhunde in den Sträuchern am Fluss.
    Isaac ließ es sich selten entgehen, zum Schauplatz einer Kindesentführung zurückzukehren. Er fand, dass ihm diese kleine Genugtuung zustand. Ein Wiedererkennen war so gut wie unmöglich. Wenn er als Beobachter auftrat, sah er dem mutmaßlichen Kidnapper kein bisschen ähnlich. Und so gestattete er sich eine kleine Besichtigungstour durch das Leben der Leute, die er geschädigt hatte. Und genoss es in vollen Zügen.
    An dieser kleinen Info würden die Kriminalpsychologen und Profiler ihren Spaß haben, das wusste Isaac. Sie würden versuchen, ihn zu analysieren, seinen nächsten Schachzug vorauszusagen – wie schon bei einem Dutzend seiner früheren Inkarnationen –, und seine Missetaten durch seine gestörte Kindheit erklären.
    Oh ja, seine frühe Kindheit war beschissen gewesen, aber das war normal bei Familien, die dank Uncle Sam immer wieder den Wohnort wechselten. Isaacs Vater war Colonel in der Army gewesen: ein Trinker und Schläger, der seinen Frust über die glanzlose Militärlaufbahn an seinem einzigen Sohn ausließ. Isaac hatte gelernt, sich unsichtbar zu machen, wenn der Alte in der Nähe war.
    Doch er beschwerte sich nicht. Er war zu einem kräftigen, schnellen und schlauen Kerl herangewachsen. Es ging ums Überleben, und darin war Isaac ein Meister. Etwas, das man von den Kindern, die seinen Weg kreuzten, kaum behaupten konnte.
    Überdies hatte das Leben als Sprössling einer Soldatenfamilie Isaac noch eine Fähigkeit gelehrt, derer er sich mit Erfolg bediente; wann immer sie auf einen neuen Stützpunkt umzogen, hatte er sich in einen anderen Schülertyp verwandelt: Isaac war Sportler gewesen, Intelligenzbestie, Ruhestörer oder Krawallmacher – oder ganz einfach ein hilfsbereiter und daher beliebter Kerl. Stets nahm er die Rolle an, die ihm beim Betreten einer neuen Schule einfiel. Es war ein Spiel, das er liebte. Außerdem konnte so keine Langeweile aufkommen.
    Mit den Jahren hatte Isaac seine Kunst vervollkommnet, hatte eine geradezu unheimliche Fähigkeit entwickelt, in eine andere Identität zu schlüpfen und sich überall anzupassen. Die Menschen, sogar die Kinder, vertrauten ihm, ohne Fragen zu stellen. So konnte er überall hin und stets der werden, der er sein wollte. Es war eine seltene Gabe, und Isaac hatte daraus vollen Profit geschlagen.
    Doch in letzter Zeit hatte sich Monotonie eingeschlichen und machte ihn rastlos. Seit mehreren Jahren war er nicht mehr Gefahr gelaufen, identifiziert oder gar verhaftet zu werden. Nicht, dass er unbedingt erwischt werden wollte. Das war auch nur so eine verrückte Vorstellung dieser Populärpsychologen. Nein, Isaac liebte ein Leben voller Aufregung und Herausforderungen und hatte schon sehr lange keine mehr erlebt.
    Vielleicht war es an der Zeit, dass er ausstieg.
    Dieser Gedanke war nicht neu. Vor einigen Jahren hatte Isaac ein Grundstück in den Bergen im Westen North Carolinas erworben. Dort wollte er ein Blockhaus errichten lassen, es vielleicht sogar selber bauen. Er hatte immer schon geschickte Hände gehabt, und was er nicht wusste, konnte er ja noch lernen. Das würde ihn beschäftigen. Zumindest eine gewisse Zeit.
    Doch zuerst musste er diesen Auftrag zu Ende bringen.
    Während Isaac sich einen Weg durch die Menge bahnte und auf den Polizeikordon zustrebte, fing er Gesprächsfetzen auf.
    »Hab gehört, die Mutter hat die Kleine einfach im Buggy schlafen lassen. Hat nicht aufgepasst«, sagte eine Frau mittleren Alters zu einer anderen. »Ich weiß einfach nicht, was heutzutage mit den jungen Leuten los ist.«
    »Kein Wunder, dass solche Dinge passieren«, stimmte die Zweite zu. »Möchte der Kleinen ja nichts Böses wünschen, aber der Mutter sollte es wirklich eine Lehre sein.«
    »Das arme Ding«, fing die Erste wieder an. »Glauben Sie, dass ihre Ehe das aushält? Hab gehört, er hat noch eine andere.«
    Die zweite Frau schüttelte in gespieltem Entsetzen den Kopf. »Oh nein!«
    Isaac grinste in sich hinein. Er hatte diesen klatschsüchtigen Weibern die Unterhaltung des Abends verschafft. Ein Kind

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