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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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beide hier rauskommen, willst du dann mit mir abhauen?«
    »Ja, klar, sofort!«
    »Nicht sofort. Ich brauch noch einen, vielleicht zwei Tage.« Ryan wusste nicht einmal genau, wie sie aus dem Haus gelangen sollten, und noch weniger, was mit Wächtern und Hunden zu machen war. Außerdem hatte er keine Ahnung, wo das Haus lag oder wohin sie sich wenden sollten, nachdem die Flucht gelungen war. »Wenn sie uns erwischen, wird es haarig.« Trader würde die Sache in die Hand nehmen und es diesmal nicht bei Schlägen belassen. Was würde dann mit Cody geschehen? »Wirklich, wirklich haarig.«
    »Ist mir egal. Ich will nicht groß werden, ohne meine Mom wiederzusehen.«
    »Okay. Dann sei bereit. Ich komm dich holen, sobald ich kann.«
    Nachdem er Cody allein gelassen hatte, kam Ryan der Gedanke, dass manche Leute ihn für völlig verrückt halten würden. Doch das war ihm mittlerweile egal. Er wusste nur, dass er sechzehn war und noch lange nicht sterben wollte.
    Und er wollte seine Mom wiedersehen.

14.
    Sonntagsbesuche bei Claire waren jedes Mal eine Tortur.
    Erin konnte nie voraussagen, was sie erwartete. Oft war Claire mürrisch und reizbar, manchmal lehnte sie es sogar rundweg ab, Schwester oder Tochter überhaupt zu sehen. Das war für Erin und Marta schon schwer genug, für Janie jedoch verheerend, weil es sie schrecklich verstörte und verletzte.
    Doch selbst an ›guten‹ Tagen war Claires Verhalten nicht vorauszusehen. Manchmal benahm sie sich wie ein Kind und spielte mit Janie, als wären sie Gleichaltrige und nicht Mutter und Tochter. Oder aber Claire war ruhig und verschlossen, bedachte sie lediglich mit ein paar dahingeworfenen Worten, nahm ihre Tochter aber kaum wahr.
    Janie war nach jedem Besuch so durcheinander, dass Erin dem wöchentlichen Ausflug allmählich mit Schrecken entgegensah. Claires Ärzte jedoch bestanden darauf; sie brauchte den ständigen Kontakt mit ihrer Familie. Das würde den Heilungsprozess vorantreiben.
    Diese Sorge hatte sich bestätigt, als Erin im Vorfrühling einen Besuch absagen musste. Sie war in letzter Minute zu einem Meeting in Langley zitiert worden und wollte nicht, dass Janie und Marta allein zu Claire fuhren. Doch diese Entscheidung war ein Fehler gewesen.
    Claire rief bei Erin an und bekam Janie an den Apparat, worauf sie nichts Besseres zu tun hatte, als dem kleinen Mädchen vorzuhalten, es liebe sie nicht. Als Marta es endlich schaffte, dem schluchzenden Kind den Hörer abzunehmen, war der Schaden bereits angerichtet. Aber Claire war noch lange nicht fertig: Nun ging sie weinend und schimpfend auf die ältere Frau los und beklagte sich, dass Erin herzlos sei und sie im Stich gelassen habe.
    Erin kochte vor Zorn, als sie von dem Anruf erfuhr. Janie ging es schon schlecht genug, sie brauchte keine Mutter, die sie wegen widriger Umstände beschimpfte, an denen das Kind nichts ändern konnte. Erst nach einem längeren Gespräch mit Claires Arzt, der sie unter ständiger Beobachtung hielt, damit sie sich nichts antun konnte, war Erin wieder einigermaßen beruhigt.
    Doch Claire ging es seit langem sehr schlecht. Die offizielle Diagnose lautete auf posttraumatisches Stress-Syndrom oder kurz PTSS, entstanden aus einem schweren Kindheitstrauma. Erin indes war der Überzeugung, dass nicht einmal die Ärzte diagnostizieren konnten, wie sehr Claire der jahrelange Missbrauch geschadet hatte.
    Und sie machte sich Sorgen um Janie. Wie schlimm mochte sich die Krankheit der Mutter auf das kleine Mädchen auswirken? Wie sollte man einer Siebenjährigen erklären, dass ihre Mutter sich so irrational verhielt, weil sie als Kind entführt worden war und weil man ihr Jahre ihres Lebens und ihre kindliche Unschuld geraubt hatte? Solch eine Horrorgeschichte sollte ein Kind nicht hören, weil es dann damit leben musste.
    Deshalb wusste Janie nur, dass es Claire sehr schlecht ging und dass sie im Krankenhaus war, weil die Ärzte dort versuchten, ihr zu helfen. Und nach dem einen katastrophalen Anruf von Claire stand weiteren Wochenendbesuchen nichts mehr im Wege. Auch die Firma war kein Hindernis mehr.
    Heute war Erin noch angespannter als sonst. Die Begegnung mit Alec Donovan hatte sie aus dem Gleis geworfen. Nach Verlassen des Diners war sie nach Hause gegangen, hatte geduscht und die Kleider gewechselt und war dann aufs Revier gegangen, um den Polizeizeichner zu treffen. Die Arbeit am Phantombild hatte einige Stunden gedauert, doch es war eine Skizze dabei herausgekommen, die bemerkenswerte

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