Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
Vom Netzwerk:
verweigert hatte, eine beträchtliche Besserung erfahren. »Der Typ, den sie im Moment hat.«
    »Und wo ist dein Dad?«
    Cody zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Der ist vor langer Zeit abgehauen, aber Mom sagt, wir sind ohne ihn besser dran.« Er dachte kurz nach, dann fügte er hinzu: »Genau weiß ich's allerdings auch nicht, denn wir haben echt nicht viel Geld, und sie geht immer …«
    »Was?«
    »Ach, egal.« Cody schüttelte den Kopf. »Habt ihr eigentlich kein normales Essen hier?«
    Ryan betrachtete den fetten Rindfleischeintopf und das kernige Brot. Es war eines seiner Lieblingsgerichte, und er hatte Cody die doppelte Portion gebracht, weil der ja nichts zum Frühstück bekommen hatte. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    Cody beäugte ihn, als käme er von einem anderen Stern. »Hamburger. Hotdogs. Fritten.« Er verdrehte die Augen. »Mann, für 'nen Whopper würd ich jemand ermorden.«
    Ryan grinste. Irgendwie kamen Cody und er aus verschiedenen Welten. Eines der Dienstmädchen war Fastfood-Junkie gewesen und hatte gelegentlich Hamburger und anderes ins Haus geschmuggelt. Einmal hatte sie Ryan davon probieren lassen, doch es hatte ihm nicht sonderlich geschmeckt. Das Fleisch war dünn und zäh wie Gummi, das Brot lappig, und die Kartoffeln trieften vor Fett. Er konnte nicht begreifen, was die Leute an solchen Sachen fanden.
    »Der General hat's nicht so mit Whoppern«, sagte er deshalb.
    »Das zeigt nur, dass dein General ein Blödmann ist.«
    Nun lachte Ryan laut heraus, verstummte dann aber abrupt, weil es in seiner Brust wehtat. Er hatte noch nie gehört, dass jemand den General beleidigte. Niemand im Haus hatte den Mut dazu. »Er ist nicht mein General.« Jedenfalls nicht mehr seit letzter Nacht, als Trader ihn beinahe getötet hätte. »Warum lässt deine Mom denn zu, dass Roy dich schlägt?«
    Cody funkelte ihn wütend an. »Hey, sie tut, was sie kann, klar?«
    Ryan hob beschwichtigend die Hand, zuckte zusammen und ließ sie wieder sinken. »Tut mir Leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
    Cody schlang einen weiteren Löffel Eintopf herunter. »Na ja, einmal hat sie versucht, ihn zu hindern, aber da ist er auf sie losgegangen. Also hab ich mir gedacht, es ist besser, wenn er mich schlägt. Weil Frauen nun mal nicht so stark sind.«
    Ryan war baff. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, die Prügel für einen anderen auf sich zu nehmen. In seiner Welt ging es darum, unbemerkt zu bleiben und Schlägen aus dem Weg zu gehen. »Wie hast du's denn angestellt, dass er dich auf dem Kieker hatte und nicht deine Mom?«
    Cody kicherte in sich hinein. »Roy ist nicht sehr helle. Ich stachele ihn einfach immer weiter an, bis er's nicht mehr aushält. Dann vergisst er, dass er eigentlich auf Mom losgehen wollte, und nimmt mich.« Er riss ein Stück Brot ab und stopfte es in den Mund. »Natürlich muss er mich erst kriegen. Und ich bin verdammt schnell!«
    Ryan grinste wieder. Er hätte gern mal gesehen, wie Cody diesen Roy austrickste. »Aber wenn er so ein böser Mensch ist – warum wirft deine Mom ihn dann nicht einfach raus?«
    Wieder zuckte Cody die Achseln. »So einfach ist das nicht.«
    Ryan dachte an ihre eigene Zwangslage: die Wächter, die Hunde, Trader. »Ja, einfach ist es wohl nie.«
    »Wie ist deine Mom denn so drauf?«
    »Kann mich nicht an sie erinnern.« Ryan lehnte sich im Sessel zurück. Wieder fühlte er sich todmüde. Er brauchte Ruhe, und die Wunden mussten heilen. Aber ihm blieb wahrscheinlich nicht mehr viel Zeit.
    »Ist sie tot?«
    »Ich weiß es nicht. Sie haben mich ihr weggenommen, als ich jünger war als du.«
    »Und seitdem hast du sie nicht mehr gesehen?«
    »Genau.«
    »Mann, das ist ja Scheiße.«
    Ryan hatte schon seit Jahren nicht mehr an seine Mutter gedacht, aber Cody hatte Recht: Es war wirklich Scheiße. »Ich weiß noch, dass sie hübsch war, mit langen schwarzen Haaren. Und sie hat mir immer vorgesungen.«
    Hush, little baby, don't you cry.
    Das Lied tönte in seinem Kopf. Ein Erinnerungsfetzen, flüchtig und entfernt.
    »Meine Mom hat mir nie vorgesungen«, meinte Cody. »Aber jeden Samstag ist sie mit mir ins Kino gegangen. Bevor Roy bei uns eingezogen ist.«
    »Du vermisst sie ganz schön, was?«
    »Ja, ich will sie wiedersehen. Ich will sie nicht vergessen so wie …« Plötzlich hörte er sich verlegen an.
    »So wie ich?«
    »'tschuldige.«
    »Ist schon gut. Hör mal, Cody.« Ryan rutschte ein wenig nach vorn und senkte die Stimme. »Wenn ich weiß, wie wir

Weitere Kostenlose Bücher