Die Dunkle Erinnerung
das doch schon seit Monaten geplant. Ihr müsst mal ein paar Tage raus. Außerdem«, aufmunternd drückte sie Janies Schulter, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie nur Spaß machte, »habe ich nächste Woche viel zu tun und möchte nicht, dass ihr mir in die Quere kommt.«
Marta sah sie zweifelnd an. Erins Job und dessen ungewöhnliche Anforderungen waren ihr seit einem Jahr bekannt, doch nie zuvor waren Marta und Janie durch Erins Arbeit in Mitleidenschaft gezogen worden. Und zu Martas Ehre musste gesagt werden, dass sie nie irgendwelche Fragen gestellt hatte. Diesmal jedoch gab es eine Frage – nur eine: »Verschweigst du mir etwas?«
Es war geradezu unheimlich, wie diese Frau Erins Gedanken lesen konnte. Aber sie kannte sie ja auch von Kindheit an. »Nichts, womit ich nicht fertig würde. Ich muss jetzt erst mal ein paar Leute anrufen, dann fahren wir nach Hause.«
Wieder schaute Marta zweifelnd drein, dann streckte sie Janie die Hand hin. »Komm, Kleines, wir warten im Wagen.«
Erin ging ein Stück vom Auto weg und zog ihr Handy aus der Tasche. Der erste Anruf galt einem alten Freund in Langley, Sam Anderson, einem genialen Analysten und Computerfreak, der ihr noch einen Gefallen schuldete aus der Zeit, als sie zusammen im CIA-Trainingscamp gewesen waren.
Erin wählte eine abhörsichere Leitung. Anderson nahm nach dem zweiten Läuten ab. Irgendwie überraschte es sie gar nicht, dass er den Sonntagnachmittag im Büro verbrachte. »Sam, hier ist Erin Baker.«
»Oh, die Meisterspionin. Oder soll ich sagen, die Meisterin aller Spione?«
»Reizend.« Erin schüttelte den Kopf über Sams Possen. »Hör mal, ich muss deine Hilfe in Anspruch nehmen.«
»Ganz der Ihre, Madam.«
»Ich möchte, dass du mir drei Akten besorgst. So schnell wie möglich. Ich möchte sie heute Nachmittag noch haben.« In ihrer Eigenschaft als verdeckt operierender CIA-Offizier ging Erin so selten wie möglich nach Langley; es war zu bekannt und wurde zu scharf beobachtet. »Wir treffen uns am üblichen Ort.«
»Du verlangst nicht gerade wenig. Zufällig ist heute Sonntag, wie du vielleicht weißt.«
»Und warum gehst du dann ans Telefon? Warum sitzt du überhaupt im Büro?«
Anderson lachte. »Na ja, wenn du mich so fragst …«
»Es ist sehr wichtig, Sam.«
»Na schön.« Plötzlich wirkte er geschäftsmäßig. »Dann sag mir, um welche Akten es sich handelt.«
»Ich brauche alles, was du über einen Roland Garth finden kannst. Er sitzt zurzeit eine Strafe in San Quentin ab. Hauptsächlich interessieren mich seine persönlichen Daten von der Inhaftierungsakte und welchen Handel er mit dem Staatsanwalt abgeschlossen hat und was für Dinger er früher gedreht hat.«
»Ich weiß nicht, Baker, das klingt mir nach einer Geschichte, in die du dich besser nicht einmischen solltest.«
»Sam, ich hab's eilig!«
Anderson seufzte vernehmlich. »Okay. Welche Akten noch?«
»Ich brauche Informationen über General William Neville. Er ist Attaché an der deutschen Botschaft.«
»Das klingt schon eher nach dir. Willst du ihn rekrutieren?« Ausländische ›Agenten‹ zu rekrutieren, damit sie Informationen über ihre Regierungen verrieten, gehörte zu den wichtigsten Aufgaben eines verdeckt arbeitenden CIA-Offiziers.
»Wenn ich dir das verraten würde …«
»Müsstest du mich töten, was?« Er lachte über den alten Witz.
»Nein, eigentlich nicht, denn du arbeitest ja für die Firma.«
»Stimmt.« Anderson klang enttäuscht. »Okay … Informationen über General William Neville.«
»Außerdem möchte ich, dass du mir eine Einladung zum Empfang der deutschen Botschaft besorgst, für morgen Abend.« Das gehörte zwar nicht zu Sams direkten Aufgaben, aber wenn Erin einen seiner dafür zuständigen Assistenten darum gebeten hätte, hätte es zu viel Aufsehen erregt.
»Verstanden. Und die letzte Akte?«
Erin warf einen Blick zum Auto, wo Marta und Janie warteten, und ging noch ein Stück weiter weg. »Ich brauche sämtliche Infos über eine Entführung im Jahre 1985.«
»Welches Land?«
»Miami.«
»Miami kommt mir auch manchmal wie ein fremdes Land vor. Aber jetzt mal ernsthaft, Erin!«
»Ich meine es ernst, Sam.«
Einen Herzschlag lang herrschte Stille, dann: »Was hast du vor, Erin?« Der belustigte Beiklang war gänzlich aus seiner Stimme verschwunden.
»Anfang Juni 1985 wurde ein siebenjähriges Mädchen aus dem Glades Park entführt. Ich will die Polizeiberichte, die Vernehmungsprotokolle, alles, was du in den
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