Die Dunkle Erinnerung
Aber der verlockende Duft des Essens war nun näher. Bestimmt hatte sie das Tablett in der Nähe des Feldbetts abgestellt. Und nun fiel ihm wieder Codys Entschluss ein, genug zu essen, um bei Kräften zu bleiben.
Ryan spürte, wie ein Gewicht die Matratze neben ihm herunterdrückte. Eine raue Hand berührte sein Gesicht.
»Junge, du musst aufwachen.« Wieder war es die Frauenstimme, die Haushälterin, die ihn nicht verraten hatte, als er ihren Schlüssel stahl.
Ryan schlug die Augen auf. Das grelle Licht schmerzte, und sofort kniff er die Lider zusammen.
Die Frau lächelte. »Sieh mal, hat nur so getan.«
Der Mann, der stehen geblieben war, brummte kurz und ging zur Tür, die er einen Spalt weit offen gelassen hatte.
»Geht dir ganz gut?«, fragte sie nun. Ihr Englisch war besser, als Ryan gewusst hatte. Offensichtlich war er hier nicht der Einzige, der Geheimnisse hatte.
»Ich lebe«, antwortete er. »Aber gut geht es mir nicht.«
Wieder ein Brummen von dem Butler, der wachsam an der Tür stand. »Er wird schon überleben.«
»Aber natürlich«, sagte die Frau.
Ryan richtete den Blick wieder auf sie. »Geht es Cody gut?«
»Cody? Der Junge? Ja. Aber er wütend.«
Fast hätte Ryan gegrinst: Er stellte sich vor, wie Cody schrie und gegen die schwere Eichentür hämmerte, bis die Wachmänner des Generals ihn am liebsten erschossen hätten, damit er endlich Ruhe gab.
»Es war tapfer, was ihr versucht«, sagte die Haushälterin. »Wirklich tapfer.«
»Nein, dumm«, brummte der Mann an der Tür, und Ryan musste seiner Einschätzung zustimmen. Doch er wusste, er würde es wieder tun, sobald sich die Gelegenheit bot. Er hatte eine unsichtbare Linie überschritten. Nun gab es kein Zurück.
»Die Hunde«, sagte er. »Ich habe ihnen Rattengift gegeben, damit sie schlafen. Was ist passiert?«
»Schlafen? Nein. Die …« Sie suchte nach dem richtigen englischen Wort. »Weibchen? Ja? Sie hat gegessen das Gift. Ist tot.«
Ryan wurde traurig. Er hatte die Tiere nicht töten wollen, auch wenn er sie fürchtete, sogar hasste. »Aber ich habe das Gift doch in beide Futternäpfe getan.«
Die Haushälterin zuckte die Achseln. »Ein Wache hat andere Futter gegeben. Er nicht hat Hundefutter gegessen.«
»Aber jetzt ist er …?«
»Ja. Der Wache kann schießen. Komm.« Sie legte den Arm um seine Schulter, um ihm aufzuhelfen. Ryan tat jede Bewegung weh, doch die Frau hatte sanfte und zugleich kräftige Hände. Er unterdrückte den Schmerz und ließ zu, dass sie ihn hinsetzte. Die Frau stellte ihm das Tablett auf den Schoß. Fleischeintopf. Dunkles Brot. Sollte Cody doch von seinen Whoppern träumen.
»Jetzt essen.« Sie hielt ihm einen vollen Löffel hin, doch Ryan nahm ihn ihr ab. Eine unverletzte Hand hatte er noch, auch wenn es die unbeholfene Linke war. Doch essen konnte er immer noch selber.
»Gut.« Sie nickte bekräftigend. »Wird stark. Morgen du gehen.«
»Gehen?« Ryan schaffte gerade einen Mund voll, ohne etwas zu verschütten. »Was meinen Sie mit ›gehen‹? Wie denn?«
»Wir haben Weg.« Sie nickte dem Mann an der Tür zu. »Herrick bringt dich.«
»Aber der General! Er wird euch ohne Lohn nach Hause schicken. Oder euch etwas Schreckliches antun.«
»Vielleicht.« Die Frau zuckte die Achseln. »Vielleicht nicht. Ich dumme Bauersfrau. Ich kochen. Ich putzen. Ich weiß nichts von böse Jungen.«
Ryan grinste. »Haben Sie mir auch geholfen, als Trader hier war? Als er mir … die Scheiße aus dem Leib geprügelt hat.«
»Herrick dich gefunden. Hat dich in Zimmer gebracht. Ich hab …« Zur Erklärung berührte sie den Verband an seiner Brust.
»Und das Essen? Das Aspirin? Und das hier?« Ryan hob seinen rechten Arm, der übel zugerichtet war. Die Wunde war mit einem straffen Verband versorgt worden.
»Nicht mehr reden.« Die Haushälterin nickte zum Tablett hin: Ryan sollte jetzt essen. Und das tat er und stellte sich dabei vor, wie er mit jedem Löffel stärker wurde. Als er fertig war, nahm die Frau das Tablett und wandte sich zur Tür.
»Warten Sie.« Ryan wollte nicht, dass sie ging. »Wie heißen Sie?« Er konnte nicht glauben, dass er zwei Jahre lang mit dieser gütigen Frau unter einem Dach gewohnt hatte und nicht einmal ihren Namen kannte.
»Felda.«
»Danke schön, Felda.«
Sie lächelte ihm voller Herzlichkeit zu. Doch als sich die Tür hinter ihr schloss und die Dunkelheit wieder über Ryan hereinbrach, kehrte auch die Angst zurück. Und die Wut. Vor Feldas und Herricks Besuch war
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