Die dunkle Göttin
Selbst ebenfalls entsetzt hätte. Dabei ging es nicht einmal so sehr darum, dass sie rigoros jede Verantwortung für ihr Tun ablehnten, oder um ihre Behauptung, es wäre moralisch hinnehmbar, jemand anderen auszunutzen oder für sein eigenes Vergnügen zu missbrauchen. Das Entscheidende war, dass sie diese Ablehnung
oder Vorstellung hauptsächlich damit begründeten, dass sie sich für alle Entwürdigungen und Unterdrückungen, die sie jemals erlebt hatten, »revanchieren« wollten.
Kaeritha hatte durch persönliche, brutale Erfahrung den Unterschied zwischen Rache und Gerechtigkeit kennen gelernt. Deshalb nahm sie sehr genau wahr, welch bitteren Beigeschmack diese leisen, giftigen Unterhaltungen hatten, die sie um sich herum hörte.
Leider jedoch durfte sie sich bisher nur auf Vermutungen stützen. Damit konnte sie sich schlecht an Yalith wenden, und selbst wenn sie es getan hätte, war die Domina selbst viel zu wütend auf Trisu, als dass sie darauf gehört hätte. Außerdem stellte die Domina ebenfalls ein Problem dar. Yalith war bereits im Amt gewesen, als die Spannungen mit Trisu begonnen hatten. Wenn sich jemand an den Dokumenten zu schaffen gemacht hatte, die sich im Besitz von Kalatha befanden, was Kaeritha stark vermutete, so hätte Yalith davon wissen müssen. Der notwendige Schluss daraus war, dass Yalith eingeweiht sein musste, falls etwas Schändliches in Kalatha vorging. Dennoch bezweifelte Kaeritha dies, denn sie hatte die Ehrlichkeit der Domina unauffällig überprüft. Nicht so offenkundig, wie sie Salthan in Thalar auf die Probe gestellt hatte. Aber die Amazone war sich einigermaßen sicher, dass Yalith ehrlich und aufrichtig glaubte, sie wäre im Recht.
Daraus schloss Kaeritha, dass in Kalatha möglicherweise nicht nur Dokumente gefälscht worden waren.
»Diese Verzögerung tut mir wirklich ausgesprochen Leid, Dame Kaeritha«, erklärte Lanitha, während sie die Amazone in das Hauptarchiv führte. »Mir ist klar, wie wertvoll Eure Zeit ist, sowohl für Tomanâk als auch für Euch, und ich finde es schrecklich, dass Ihr fast eine ganze Woche untätig herumsitzen und auf mich warten musstet!«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Miene wirkte gehetzt, gereizt und gleichzeitig entschuldigend.
»Es war fast, als hätte ein Fluch auf meiner Woche gelegen«, fuhr sie fort, trat hastig ans Fenster und zog die schweren Vorhänge zurück, die den Raum und seinen Inhalt schützten. Sonnenlicht flutete herein. »Jedes Mal, wenn ich gerade vorhatte, Euch die Dokumente zu zeigen, kam wie aus dem Nichts eine andere Katastrophe dazwischen.«
»Das ist überhaupt kein Problem, Lanitha«, beruhigte Kaeritha die Archivarin. »Ich glaube, wir alle hatten eine anstrengende Woche. Meine jedenfalls war hart.«
»Danke.« Lanitha hielt kurz inne und lächelte sie dankbar an. »Es erleichtert mich, dass Ihr so verständnisvoll seid. Auch wenn Euer Mitgefühl mich nicht gerade umsichtiger aussehen lässt!«
Kaeritha erwiderte schweigend ihr Lächeln und wartete ab. Sie sah zu, wie die Archivarin die Vorhänge wegzog und den großen Aktenschrank aufschloss, in dem die wichtigeren Schriften von Kalatha lagerten.
»Domina Yalith das heißt, eigentlich war es Sharral hat mir nicht gesagt, an welchen Passagen genau Ihr diesmal interessiert seid«, warf sie über die Schulter zurück, während sie die schwere, eisenverstärkte Schranktür aufzog.
»Ich muss noch einmal die Abschnitte von Kellos Schenkungsurkunde prüfen, auf der die Grenzen um die Getreidemühle festgelegt sind«, erklärte Kaeritha beiläufig.
»Verstehe.« Lanitha suchte den entsprechenden Schuber, zog ihn aus dem Schrank und stellte ihn vorsichtig auf den Schreibtisch vor das größte Ostfenster des Dokumentenraumes. Ihr Tonfall war höflich. Doch Kaeritha beobachtete sie so genau und unauffällig wie möglich, und etwas an den hochgezogenen Schultern der Archivarin verriet, dass Lanitha keineswegs so ruhig war, wie sie tat. Zwar konnte Kaeritha keinerlei Anzeichen entdecken, dass sie etwas anderes als die ehrliche, hart arbeitende junge Frau war, als die sie sich gab. Doch diese Anspannung
Lanitha wirkte, als machte ihr ein innerer Zwiespalt zweier miteinander ringender Loyalitäten zu schaffen.
Die junge Frau öffnete den Kasten und legte das Original von Lord Kellos Schenkungsurkunde an die Kriegsbräute von Kalatha auf den Tisch. Kaeritha hatte schon oft empfindliche Originale betrachtet, deshalb blieb sie geduldig vor dem Tisch
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