Die dunkle Macht des Mondes
hörte, wie die Tür sich schloss, und öffnete die Augen.
Gwen hatte geglaubt, dass er schlief, wie er es ihr den größten Teil des vorigen Tages und die ganze Nacht vorgespielt hatte. Sie hatten kaum miteinander gesprochen, seit er sie dabei ertappt hatte, wie sie ihn berührte. Die Erinnerung an ihre kühne Tat hing zwischen ihnen wie die Schlinge eines Henkers.
Gwen hatte ihm, befangen und mit gerötetem Gesicht, ein einfaches Nachtmahl bereitet und ihn alleine essen lassen. Sie hatte sich ins Wohnzimmer zurückgezogen, wo sie auf dem Sofa schlief, als würde dieser kleine Abstand sie davor bewahren, etwas wirklich Unangemessenes zu tun.
Nicht, dass er ihr einen Grund gegeben hatte, zu befürchten, er würde auf ihre Avancen eingehen. Ganz im Gegenteil. Er hatte absichtlich Abstand gehalten und so getan, als wäre ihm alles völlig gleichgültig, während in seinem Körper die Lust tobte. Seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt und registrierten jede ihrer Bewegungen. Der kleinste Hauch ihres Duftes ließ ihn hart werden, und alles, woran er denken konnte, war, sie in diesem Bett, in dem er gerade lag, zu nehmen.
Jetzt war sie fort, wenn auch nur für den Tag, und die Erleichterung war überwältigend. Er setzte sich auf, lehnte sich gegen die Kissen und streckte seine Arme. Es hatte vierundzwanzig Stunden gedauert, bis er sich erholt hatte, und er war immer noch etwas geschwächt. Gwens Blut hatte Wunder bewirkt.
Er schwang seine Beine seitwärts aus dem Bett und bemerkte die Kleidung, die sie auf dem einzigen Stuhl für ihn bereitgelegt hatte: einen sandfarbenen Fischerpullover, ein Paar Flanellhosen, Socken und braune Halbschuhe. Die Uniform des einfachen Mannes, die Gwen wahrscheinlich in einem Laden in der Nachbarschaft gekauft hatte. Dorian hatte so etwas seit seiner Jugend nicht mehr getragen, nicht in all den Jahren, die er für Raoul gearbeitet hatte.
Er zog sich den Pullover über den Kopf und die Hosen an. Die Schuhe und Strümpfe ließ er am Fußende des Bettes zurück und ging ins Wohnzimmer. Ein Haufen Decken lagen auf dem Sofa. Gegen seinen Willen ging Dorian zur Couch, hob eine der Decken an und drückte sie gegen sein Gesicht. Sein Schwanz stand sofort bereit.
Er atmete tief ein und rieb seine Wange an der Decke. Monatelang war er ruderlos dahingetrieben, niemand hatte ihm Befehle erteilt, keine Pflicht hatte seine Gedanken gefüllt. Der Tod war ihm besser erschienen als diese Leere. Aber dann war Gwen in sein Leben getreten, und plötzlich war sein hohles Herz wieder gefüllt.
Er hatte noch nie so viel Angst gehabt wie in diesem Moment.
Mit noch einem zitternden Atemzug warf Dorian die Decke zurück aufs Sofa. Ein gefaltetes Blatt Papier fiel auf den Teppich. Er hob es auf und öffnete es. Die Sätze waren in einer kräftigen, geneigten Schrift gehalten, die genauso viel über Gwen preisgab wie der Duft ihres Haares.
Guten Morgen, Dorian.
Wenn Sie das hier lesen, sind Sie wach und können aufstehen. Zwingen Sie sich zu nichts. In der Küche ist noch etwas zu essen. Nehmen Sie, soviel Sie mögen. Ich bringe auf dem Nachhauseweg vom Büro mehr mit.
Etwas habe ich vergessen zu erwähnen, und Sie werden sich sicher fragen: Walter geht es gut. Ich habe ihn in einer kleinen Pension untergebracht, wo er unter Menschen ist und ein Arzt manchmal nach ihm sehen kann. Für sein Alter ist er in sehr guter Verfassung. Ich nehme Sie zu ihm mit, sobald Sie können.
Ruhen Sie sich aus. Ich bin um sieben zurück.
Gwens Unterschrift war ein einziger breiter Schnörkel, ein selbstsicherer Zug mit dem Stift, der etwas ganz anderes aussagte als ihre Unsicherheit früher am Tag. Dorian faltete den Zettel wieder zusammen und legte ihn zurück aufs Sofa. Er hatte kaum an Walter gedacht, seit er den Entschluss gefasst hatte, sich umzubringen, weil er überzeugt war, dass Gwen sich um das Wohl des alten Mannes kümmern würde. Und das hatte sie getan. Sogar wenn Dorian fürchtete, was sie getan hatte, um sein eigenes Leben zu retten, stand er doch tief in ihrer Schuld, weil sie auch Walter gerettet hatte.
Dorian pirschte mit verworrenen Gedanken durch die Wohnung. Die Möbel waren bescheiden, sowohl im Preis als auch in der Aufmachung, passend für eine Frau, die wenig Zeit zu Hause verbrachte. Es gab nur vier Zimmer, einschließlich Badezimmer, jedes ordentlich und gut organisiert. Die einzige Ausnahme bildete der Sekretär neben dem einzigen Fenster in der Ecke des Wohnzimmers. Er war übersät mit
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