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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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versah, waren die
beiden in dem fremden Haus verschwunden.
    »Da soll
mich doch …«, entfuhr
es ihr und gleich darauf bekreuzigte sie sich schuldbewusst. Sie beschleunigte die
Schritte und blieb ratlos vor dem Hauseingang stehen. Auf dem bronzenen Namensschild
rechts neben dem Türrahmen war ein Schriftzug eingraviert: Stahr-Lewald.
    Unschlüssig
trat sie von einem Fuß auf den anderen, bis sie zaghaft die Hand hob, um an die
Tür zu pochen. Zu ihrer Überraschung schwang diese auf und eine Frau in den Fünfzigern
stand vor ihr. Die Fremde besaß ein rundliches Mondgesicht mit dem Ansatz zu einem
kleinen Doppelkinn und eine für eine Frau außergewöhnlich hohe Stirn. Die blonden
Locken jedoch, die dicht gerollt das Gesicht umrahmten, machten diese Makel mehr
als nur wett.
    »Ja? Sie
wünschen?«, fragte die Unbekannte freundlich.
    Frau Lembke
neigte den Kopf zur Seite, um an der Frau vorbei einen Blick ins Hausinnere zu erhaschen.
Zwei Männer huschten durchs Bild, angeregt diskutierend, Gläser in den Händen haltend.
    »Meine Schutzbefohlene
ist hier eingetreten.«
    »Ah, kommen
Sie herein. Bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause. Sie müssen zu Herrn Bentheim gehören.
Er hat mir eben noch mitgeteilt, dass eine gute Freundin von ihm zu Besuch kommen
werde. Aber ich habe Sie nicht so schnell erwartet.«
    »Gute Freundin?«,
murmelte Hedwig Lembke empört, als sie den Fuß über die Schwelle setzte.
    Die Gastgeberin,
die sich als Frau Fanny Lewald vorstellte, geleitete die neue Besucherin in ein
Nebenzimmer, in dem mehrere Tischchen, Sofas und Ledersessel aufgereiht waren. Eine
überschaubare Gruppe von Menschen hielt sich in dem Raum auf. Einige zitierten aus
mitgebrachten Schriften, andere lauschten ehrfürchtig, um sich daraufhin in Diskussionen
zu versteigen. Die zwei Frauen waren an der Längsseite eingetreten. Die Wand zur
Linken befand sich beinah in Reichweite, jene zur Rechten bestand aus mehreren an
Erker erinnernde Vertiefungen. Zwei weitere Türen führten in anschließende Räumlichkeiten,
die alle zusammen eine Einheit bildeten.
    In einem
der Erker hatten Julius und Filine es sich bereits bequem gemacht. Ihre Wangen waren
noch gerötet – vor Aufregung, ihrer Anstandsdame einen Streich gespielt zu haben
– und ein schnurrbärtiger Mann Mitte der Vierziger war gerade dabei, ihnen Sekt
einzuschenken. Voller Ingrimm war Frau Lembke versucht, ihren Ausreißern vor versammelter
Gesellschaft die Ohren lang zu ziehen, doch ein unbewusster Impuls ließ sie innehalten.
Sie kannte den Mann! Und auch etliche der anderen Gäste waren ihr merkwürdig vertraut.
Hatte sie deren Gesichter nicht schon in der Zeitung gesehen?
    Von dem
Herrn mit der Sektflasche wusste sie, dass er Apotheker gewesen war. Wenn sie sich
recht entsann, hatte er sie sogar vor etlichen Jahren einmal am Georgenkirchplatz
in der Apotheke Zum Schwarzen Adler persönlich bedient. Er war ihr in Erinnerung
geblieben, da er so nett und zuvorkommend auf ihre Bedürfnisse einging, während
sie unpässlich war. Wie überrascht war sie gewesen, als sie im Revolutionsjahr 1848
vier radikale Texte zu lesen bekam, die von eben diesem netten jungen Mann geschrieben
worden waren. Auch in den letzten Jahren war sein Name immer wieder gefallen, wenn
auch nicht mehr im politischen, sondern im literarischen Bereich: Durch Reiseberichte
aus London und über die Grafschaft Ruppin hatte der Apotheker Aufmerksamkeit erregt.
    Hedwig Lembke
trat in seine Nähe. Freundlich wandte er sich an sie und bot ein Gläschen an. Sie
wehrte dankend ab. »Vielen Dank, Herr Fontane, aber ich bin Mitglied im Mäßigungsverein.«
    »Fontan«,
betonte er mit einnehmender Liebenswürdigkeit. »Das E am Ende kann mir gestohlen
bleiben. Meine Eltern waren Hugenotten. Französische Aussprache also, s’il vous
plaît. In dieser Hinsicht bin ich konsequent. Nicht doch ein Gläschen, meine Dame?«
    Sie schüttelte
den Kopf und der Schriftsteller stellte die Flasche auf einen Beistelltisch, während
sich ein zweiter Herr zu ihrer Gruppe gesellte. Er war ein wenig kleiner als Theodor
Fontane und auch ein wenig jünger, besaß – wie die meisten preußischen Männer, die
etwas auf sich und ihre Herkunft hielten – einen prächtigen Schnurrbart samt Koteletten
und war von schmaler, schmächtiger Statur.
    »Ah, mein
lieber Goedsche, seien Sie mir herzlich willkommen. Darf ich Sie alle miteinander
bekannt machen?« Der Dichter deutete auf Filine und Julius. »Zuerst die junge Generation,
denn

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