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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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Sitzmöbel, eine Kommode und ein Bücherregal fiel.
Auf einem Matratzenlager, das an die märchenhaften Erzählungen aus Tausendundeiner
Nacht erinnerte, lag in gelangweilter Pose eine hübsche junge Frau. Sie blätterte
in einem Buch, als die beiden Besucher eintraten, und sah mit ungeheuchelt geringem
Interesse von ihrer Lektüre auf.
    »Dies ist
Ihr Modell, Herr Graf. Die Wahl der Posen überlasse ich Ihrem Kunstgeschmack. Ich
erwarte jedoch keinen Impressionismus, der gerade bei den Franzosen Mode ist. Und
wenn auch der weibliche Körper schön wie eine Landschaft ist, die man erkunden möchte,
so können Sie die Ideen der Schule von Barbizon getrost außen vorlassen. Was ich
will, sind Details. Genaue und exakte Details. Sie verstehen?«
    »Fragt sich
nur, ob das Modell einwilligt.«
    Bissing
warf einen verächtlichen Blick auf die Frau und lachte. »Ob sie einwilligt? Ha,
der war gut.« Er klopfte Bentheim auf die Schultern, als er den Raum verließ. Julius
drehte sich um und schob den Riegel vor.

Elftes Kapitel
     
    Der Name der jungen Frau war
Adele. Ihre langen nussbraunen Haare fielen ihr glatt auf die Schultern. Nackt platzierte
sie sich vor ihm, wobei sie keinerlei Scheu oder Gehemmtheit empfand. Er dirigierte
ihre Bewegungen, erklärte, welche Position sie einnehmen solle, und sie legte ihre
Erzählung – ›Der Kriminalrichter‹ von Balzac, wie Julius überrascht bemerkte – beiseite
und gehorchte, ohne zu murren.
    »Machst
du das schon lange?«, fragte sie ihn.
    »Mein erstes
Mal. Ich glaube, ich bin nervöser als Sie.«
    »Das merkt
man. Wenn du mich nicht einmal zu duzen getraust …«
    Mit etwas
mehr als nur beruflichem Interesse betrachtete Julius ihre Brüste, die ähnlich groß,
aber dennoch ganz anders waren als jene von Filine. Er saß in einem Korbstuhl, das
Papier in Ermangelung einer Staffelei über seine Tasche auf die Oberschenkel gelegt.
Mit wenigen Strichen skizzierte er die Umrisse. Sobald er damit fertig war, ging
er dazu über, kleine Quadrate um einzelne Bildausschnitte herum zu zeichnen. Er
wählte dafür die Brüste aus, die linke, die rechte, dann die Bauchpartie und die
Scham. Diese Stellen wollte er gesondert abmalen und die einzelnen Zeichnungen später
in aller Ruhe zu einem Ganzen fügen. Adele hatte sich ein Kissen in den Nacken gelegt
und verfolgte gespannt die Handbewegungen des Künstlers.
    »Du machst
das nicht nur wegen des Geldes, habe ich recht?«
    Julius beugte
sich über sie, um die Form ihrer Brustwarzen zu skizzieren, und atmete gleichmäßig
ein und aus.
    »Keine Antwort
ist auch eine Antwort«, meinte Adele anzüglich und spielte mit den Spitzen ihrer
langen Haare.
    »Bitte,
Fräulein, ich versuche mich zu konzentrieren.«
    »Deshalb
schnaubst du auch so schwer«, konterte sie lächelnd.
    »Das ist
Atemtechnik. Möglichst tiefes und ruhiges Atmen beruhigt die Nerven und erhöht die
Konzentration. Das solltet ihr Prostituierten eigentlich wissen.«
    Sie fuhr
auf. »Prostituierte! Pah, du eingebildeter Laffe. Was denkst du, wer du bist?«
    Verwirrt
hielt Julius inne. Das Gesicht der jungen Frau war zornig und ausdrucksstark – ein
Gesicht wie geschaffen für eine Bühnenkarriere. Sie starrte ihn unentwegt an, als
erwarte sie eine Entschuldigung von ihm oder zumindest irgendeine Reaktion. Der
Zeichner fühlte sich unwohl. Er senkte den Kopf und gab vor, seine Skizze zu studieren,
als sie ihn nochmals ansprach: »Ich bin aus freien Stücken hier. Ob mich jemand
anfasst, entscheide ich. Ja, natürlich brauche ich Geld. Aber ich lasse die Leute
mich nur betrachten. Mehr liegt nicht drin, oder der Kerl kriegt was auf die Pfoten.
Überhaupt sind hier keine Huren anwesend, nur Damen, die etwas auf sich halten!
Die Visitenkarten haben einen Zweck, falls du das noch nicht begriffen hast.«
    Julius sah
auf.
    »Was für
einen Knick hat deine Karte?«, fragte er, nun ebenfalls zum Du übergehend.
    »Gar keinen«,
entgegnete sie. »Und deine?«
    Wortlos
zog er das Bündel Karten aus der Westentasche und reichte ihr eine.
    »Der Graf
von Saint-Germain?«, las sie und lachte verblüfft auf. »Ha, der Graf, der alte Schwerenöter.
Und kein Knick in der Karte. Wo hat man das schon mal gesehen?« Sie reichte ihm
die Hand. Ihre Miene war um einiges sanfter geworden. »Gestatten, Herr Graf – Adele
mein werter Name.«
    Bentheim
führte die zierlichen Finger an seinen Mund, um sie zu küssen. »Julius«, murmelte
er gedankenverloren.
    »Ah, Julius.
Das Pseudonym ist

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