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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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Professor,
was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist das seltsame Gebaren von Gregor Haldern. Weshalb
um alles in der Welt ist er nicht in den Flur getreten, als Sie Lene Kulm ermordet
haben? Er war völlig lethargisch, als die Polizisten ihn vernehmen wollten.«
    Der Anflug
eines Lächelns huschte über das Gesicht des Mörders, als er sich die Szene vergegenwärtigte.
    »Ja, ja,
der arme Gregor«, meinte er sinnierend. »Er war so durchschaubar. Als ich bei ihm
klopfte, um das Messer auszuleihen, mit dem ich angeblich die Filetstücke tranchieren
wollte, überreichte ich als Dankeschön im Voraus eine Flasche Branntwein. Der Alkohol
hatte den Vorteil, den Geruch des Paraldehyds und des Laudanums zu übertünchen.
Außerdem war es offensichtlich, dass dieser Säufer den Inhalt der Flasche schon
nach wenigen Minuten geleert haben würde.«
     »Sie haben
ihn einfach betäubt?«
    »Der bemitleidenswerte
Kerl sollte doch nicht mitkriegen, wie ich mich mit seiner Freundin vergnügte«,
meinte Goltz zynisch. »Das wäre gar hart und unmenschlich gewesen, finden Sie nicht?
Sie müssen wissen, ich kann sehr feinfühlig sein.«
    Botho Goltz
kraulte mit den Fingerspitzen seinen Bart und wandte sich schließlich in einer anderen
Angelegenheit direkt an Kommissar Bissing: »Moritz, altes Haus, du siehst, ich habe
bewiesen, dass es den perfekten Mord gibt. Ich führe nach Punkten. Es liegt an dir,
dass mein Vorsprung verringert wird und du zu mir aufschließen kannst. Glaubst du,
du schaffst das? Traust du dir das zu?«
    Die Augen
der Anwesenden waren auf den Angesprochenen gerichtet. Voller Anspannung, aber auch
mit mitfühlendem Interesse, erwartete man die Reaktion des Polizisten. Als Bissing
sich schließlich räusperte, blickten ihn vier Dutzend Augen an. Mit bedächtiger
Langsamkeit stellte der Kommissar die Aktentasche, die er bei sich trug, aufs Pult
und öffnete sie. Ohne ein Wort verlauten zu lassen, griff er hinein, förderte ein
Buch zutage – wie Bentheim bemerkte, war es der ›Der Graf von Monte Christo‹ – und
wühlte weiter, bis er ein ledernes Handschuhpaar herauszog. Mit fiebriger Anspannung
verfolgte der Tatortzeichner das Vorgehen des Polizisten, der sich den rechten Handschuh
überzog, für einen kurzen, unscheinbaren Moment ins Innere der Tasche langte und
die Hand wieder zurückzog, um in den zweiten Handschuh zu schlüpfen.
    »Ihnen zu
Ihren Taten noch zu gratulieren und die Hand zu geben, übersteigt mein moralisches
Vermögen«, begann er endlich. »Sie sind durch und durch degeneriert, Goltz. Menschen
wie Sie sollten auf dem Molkenmarkt im Wind baumeln!« Sein Atem war schneller geworden,
sein Kopf lief rot an. »Sie sollte man hängen!«, zischte er, während er in seiner
wachsenden Erregung dem Professor die Hand auf den nackten Unterarm legte. »Sie
sind es, der verdient, zu sterben!«
    Es war ein
Ausbruch, den alle Anwesenden nachvollziehen konnten, und es gab niemanden, der
Bis­sing dafür verurteilt hätte. Für wenige Sekunden noch blieb der Blick des Kommissars
auf seiner Hand haften. Dann hatte es den Anschein, als ekle er sich davor, den
Professor angefasst zu haben, und ruckartig zog er die Hand zurück. Durch den Druck
wies die Haut eine leichte, dunkle Verfärbung auf und Goltz massierte sich die Stelle.
Der Kommissar griff nach seinem Roman und der Tasche und wandte sich ab.
    »Geh nur«,
rief der Professor Bissing nach, als dieser und Gideon Horlitz gemessenen Schrittes
auf die Tür zuhielten. Die Männer ließen sie durch, indem sie nach beiden Seiten
auswichen und so einen Korridor entstehen ließen, der Bentheim an den Spießrutenlauf
der alten Landsknechte erinnerte. »Geh, Moritz!«, wiederholte der Professor hämisch.
»Dura lex, sed lex! Lupus est homo homini …« Sein Gesicht mit den runden Backen glühte vor Freude und trunkener
Selbstgefälligkeit.
    Bissing
blieb beim Ausgang stehen und drehte sich ein letztes Mal um. Er zog seine Lederhandschuhe
aus, indem er sie am Saum umstülpte und mit verächtlicher Miene in einen geflochtenen
Abfalleimer schleuderte, der in der Ecke stand. Es war eine symbolische Geste und
sie war beleidigend genug, den Professor für einen Moment das selbstherrliche Gebaren
aus dem Gesicht zu zaubern.
    »Accipere
quam facere praestat iniuriam«, zitierte er Cicero und legte den Kopf schief. Julius
Bentheim ließ die Augen von einem zum anderen wandern und bemerkte mit wachsender
Beklemmung, dass der Professor sich an das Holz des Katheders krallte.

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