Die dunkle Prophezeiung des Pan
unserem gestrigen Spieleabend bei Corey.
Wie hatte er sich
innerhalb eines halben Jahres so in mein Leben drängen können?
Auch, wenn ich mir einredete, ich müsse höchstens zwei
Wochen durchhalten, es waren zähe Stunden. Ich fragte mich, ob
ich nicht doch in ihn verliebt war. Vielleicht. Ein kleines bisschen.
Aber wenn ich daran dachte, wie sehr Richard Cosgrove mein Herz zum
Pochen brachte, dann musste ich ganz deutlich sagen: Das schaffte Lee
nicht. Mir fehlte mein bester Freund. So einfach war das.
Selbst in der Cafeteria
an unserem Tisch war es ohne ihn anders. Nicole stocherte lustlos in
ihrem Essen, Ruby blickte verträumt aus dem Fenster und
beteiligte sich an keiner Unterhaltung und Corey versuchte nicht
einmal einen schäbigen Witz zu reißen. Auch Phyllis und
Jayden aßen teilnahmslos und sagten nur das Nötigste.
»Habt ihr schon
gehört? Mrs Crobb hat die Frührente beantragt«, sagte
Corey auf einmal.
»Gott sei Dank«,
murmelte Jayden. »Ab wann ist sie weg?«
»Sie ist schon zu
Hause. Irgendwas von Depressionen und Burnout.«
»Ob unser
Bingo-Spiel ihr den Rest gegeben hat?«, mutmaßte Phyllis.
»Steht schon ein
Nachfolger fest?«, wollte Nicole wissen.
Corey zuckte die
Schultern. »Keine Ahnung. Das habe ich im Sekretariat
aufgeschnappt, als ich für meine Schwester die ausgefüllten
Anmeldeformulare abgegeben habe.«
Coreys Schwester
Cheryl, eigentlich seine Stiefschwester, wollte im Sommer aufs
Westminster College wechseln. Ihr zu erklären, dass sie mit
dreizehn noch zu jung dafür war, war umsonst. Sie wollte in Lees
Nähe sein und würde wohl lieber einen Rüffel vom
Schulleiter in Kauf nehmen, als einen wohlmeinenden Ratschlag von
uns.
»Wie sieht es
aus, Felicity, gehen wir heute Nachmittag joggen?«
Das hatte ich ganz
vergessen. Jayden, Lee und ich trafen uns seit ein paar Monaten
regelmäßig im Hyde Park zum Laufen. Anfangs hatten wir es
nur um den Serpentine Lake herum geschafft, mittlerweile joggten wir
quer durch bis Kensington und zurück zum Apsley House, an guten
Tagen sogar zwei Runden.
»Tut mir leid,
Jayden, ich muss heute Nachmittag arbeiten.«
Jayden, Corey, Nicole
und Phyllis sahen mich neugierig an. Nur Ruby träumte weiter vor
sich hin.
»Wie ist dein
neuer Job?«, fragte Nicole und klang zum ersten Mal, seit Lee
weg, war nicht desinteressiert.
»Cool«,
gestand ich ehrlich. »Ich darf nicht nur intensiv sämtliche
Gemälde studieren, sondern auch so arrogante Frackträger
zurechtweisen, wenn sie glauben, ihre Telefongespräche vor
Botticellis schlafendem Mars abhalten zu müssen. Ich sage euch,
letzte Woche ist so ein Manager rot angelaufen und hat behauptet, ich
hätte ihm einen Millionendeal kaputt gemacht. Da kam mein
Vorgesetzter, hat sich hinter mich gestellt und gesagt, er solle
seine Millionendeals draußen am Trafalgar erledigen und mich
Venus und Mars in Ruhe lassen. Das war super.«
Alle grinsten breit.
Phyllis sagte: »Ich
finde es großartig, dass du ausgerechnet in der National
Gallery einen Job bekommen hast. Ich könnte mir stundenlang die
Bilder von Cézanne ansehen.«
»Und ich find‘s
gut, dass du endlich bezahlt wirst für deine Plackerei«,
sagte Jayden.
Vor kurzem hatte er zum
ersten Mal deutlich gemacht, wie sehr es ihn ärgerte, dass Mum
mich nicht hatte bezahlen können. »Ich auch«,
gestand ich und lächelte ihm aufrichtig zu. »Es ist toll
zu sehen, dass ich mir wahrscheinlich doch das Studium leisten kann,
wenn ich kein Stipendium bekomme.«
»Sollen wir dann
morgen Nachmittag joggen?«, fragte Jayden und lächelte
sonnig zurück.
»Gern«,
antwortete ich spontan.
»Oh. Mein. Gott.«
Ruby war aus ihren
Träumen erwacht und sah mit aufgerissenen Augen und offenem Mund
zur Tür der Cafeteria.
Überrascht folgten
wir ihrem Blick und wussten sofort, was sie meinte: Ein Mann stand
neben unserer Schulleiterin Mrs Haley-Wood. Er war groß, blond,
sportlich und von überdurchschnittlich gutem Aussehen. David
Beckham hätte sich von ihm eine Scheibe abschneiden können.
Jetzt sah er zu uns
rüber und mir stockte der Atem.
»Das muss der
neue Lehrer sein.« Nicoles Stimme überschlug sich beinahe.
»Wow«,
seufzte Ruby aus tiefstem Herzen.
Mrs Haley-Wood kam mit
ihm durch die Cafeteria in unsere Richtung. Ich sah das smarte
Lächeln auf seinem Gesicht. »Sag mir, dass ich träume«,
hauchte ich noch immer fassungslos.
»Du träumst
nicht. Hallo, Felicity.« Seine Stimme war genauso verlockend
und tief, wie ich sie in
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