Die dunkle Prophezeiung des Pan
VERSAILLES
Yolande
de Polignac hatte mir ein Kleid besorgt und ihre Zofe hatte meine
Haare zu lächerlichen Löckchen aufgedreht. Ich bekam kaum
Luft in dem enggeschnürten Mieder, aber Yolande war begeistert.
»Eine
Schande, solche Beine zu verstecken. Diese Hosen sind absolut formidable .
Zudem betonen sie manche Zonen sehr schön.«
Ich
hörte nur mit einem Ohr hin und betrachtete entsetzt die
angesengten Spitzen meiner Locken. Blödes Brenneisen. Florence
wäre erschüttert.
»Was
ist das für ein Ding?« Yolande hielt mein Handy hoch und
betrachtete es interessiert.
Mein
Handy! Ob ich Lee erreichen konnte? Zumindest war eine neue SMS auf
dem Display zu sehen. Sie musste noch bei Corey eingegangen sein,
denn hier gab es natürlich keine Netzverbindung.
»Der
Schönling kann dich auch nicht beschützen«, stand da.
Die Nummer war unterdrückt. Schönling? Meinte derjenige
etwa Lee? Das war unmöglich. Das Datum war erst … War das
jetzt gestern gewesen? Oder schon vorgestern? Ich wusste nicht, wie
viel Zeit seit Jaydens Karaoke-Party vergangen war. Was für
einen Alkohol hatte Corey nur in die Bowle gemischt? Ich fühlte
mich noch immer wie benommen, als stünde ich neben mir. Nicht zu
schwanken, erforderte schon eiserne Konzentration. Eigentlich konnte
mich der unbekannte Simser nur mit Eamon im Café gesehen
haben. Der war der einzige Schönling, mit dem ich in der letzten
Zeit zusammen gewesen war. Aber davon mal abgesehen, wollte sich
nicht Jeremy darum kümmern?
Allerdings
brachte mich das Handy auf eine Idee: Ich musste theoretisch nur
einen Edelstein finden. Vorzugsweise einen Diamanten. Wenn ich den
bewegen würde, konnte Lee vielleicht an seinem Teledingsbums
lesen, wo ich war und mich hier abholen. »Was hat Lee genau
gesagt, als er mich erwähnt hat?«, fragte ich.
»Ach,
Lee erzählt nie viel.« Ich hatte das Gefühl, sie wich
meiner Frage genauso aus wie ich ihrer. »Er küsst lieber
statt zu reden.« Im Spiegel sah ich, wie sie mir einen
gespannten Blick zu warf. Als wolle sie testen, wie eifersüchtig
ich war.
Miststück.
Ich lächelte einfältig. »Ja, das ist Lee.« Dieser
elende Mistkerl und Verräter. Er war verlobt und knutschte sich
durch die Jahrhunderte? Mistkerl. Vergebens suchte ich nach einer Tasche, einem Beutel oder sonst was,
wo ich mein Telefon verstauen konnte.
»Hebt
den Rock. Darunter befinden sich kleine angenähte Taschen.«
Yolande
hatte meine Misere wohl erraten. Ich hob die erste Stoffbahn (von
sieben, wenn ich richtig gezählt habe) und fand zwei an Bändern
befestigte Beutelchen. Hier sollte wohl niemand etwas stehlen können.
Ich hörte innerlich Ciarans Vortrag über das Mitnehmen von
Gegenständen aus der Zukunft in die Vergangenheit.
»Lee
sprach oft von Euch«, fing Yolande wieder an. Sie sah nicht
mich an, sondern hob meinen BH hoch. »Jetzt verstehe ich,
wieso.«
Ich
entriss ihn ihr. »Seltsam. Euch hat er noch nie erwähnt.«
Ein
Funken blitzte in ihren Augen auf, aber beinahe sofort hatte sie sich
wieder in der Gewalt. »Kommt. Die Königin erwartet uns.«
Ich
warf einen letzten Blick in den Spiegel. Sah ich dämlich aus. Hoffentlich würde ich Lee nie mit dieser Frisur unter die
Augen kommen.
Marie
Antoinette empfing mich nicht. Sie ließ Yolande mitteilen, ich
solle mich in die Kinderstube begeben. Vielleicht könne ich mich
bei der Kindererziehung nützlich machen. Ich fand die Idee
hervorragend. Immerhin wollte ich Lehrerin werden.
Die
Kinderstube befand sich in einem Appartement in einem anderen Flügel
des Schlosses. Das Kindermädchen war eine Dame, die mich an
unsere Biologielehrerin Miss Greenacre erinnerte. Allerdings wirkten
ihren Augen wärmer und freundlicher. Sie stellte sich als Madame
de Tourzel vor und war die rechte Hand von Madame de Polignac, die
angeblich die Erzieherin der Kinder war (in erster Linie war sie
jedoch mehr bei der Königin anzutreffen und überließ
die Arbeit lieber den ihr untergeordneten Damen). Madame de Tourzel
zur Seite stand eine Madame de Rambaud, die sich soeben um ein
schreiendes Baby kümmerte.
Ein
Mädchen in einem kitschigen Kleid voller Rüschen und
Volants flegelte sich mit einem Buch in einem Sessel. Sie wurde mir
als Prinzessin Marie-Thérèse vorgestellt. Die
Prinzessin sah von ihrem Buch nicht auf.
Ein
paar andere Kinder spielten in der Ecke mit Murmeln und Bauklötzen.
Madame de Tourzel stellte mir ihren Liebling, den Thronfolger, vor.
Ein aufgewecktes Kerlchen im Kindergartenalter mit
Weitere Kostenlose Bücher