Die dunkle Prophezeiung des Pan
Gefühl erreichte ich den
Spiegelsee.
Ich
kniete mich an exakt die gleiche Stelle wie heute Nachmittag. Obwohl
das Mondlicht sehr hell war, waren dieses Mal die faulenden Blätter
kaum zu erkennen. Alles lag schummrig im Dunkel. Sollte ich ein paar
helle Kieselsteine hineinwerfen, um einen Anhaltspunkt zu bekommen?
Doch
in diesem Augenblick geschah es. Es war beinahe, wie der Moment, wenn
man einen Fernseher anschaltet und das Bild sich aufbaut. Nicht diese
alten, riesigen Röhrenkästen, sondern die modernen
Flachbildschirme, die nach zwei Sekunden ein glasklares,
High-Definition-Bild präsentieren.
Ich
sah die Höhle. Dieses Mal hing Lee angekettet an den Felsen. Er
atmete heftig und blutete leicht aus einer großen Wunde auf
seiner Brust. Sein Haar war zum ersten Mal, seit ich ihn kannte,
nicht locker verwuschelt, sondern strähnig und platt. Seine
spitzen Ohren ragten aus den herunterhängenden Strähnen
heraus. Aber sein Blick war trotzig, so als sammle er alle Kräfte,
um die Ketten zu sprengen. Er hob den Kopf. Seine Augen weiteten sich
und sein Mund öffnete sich zu einem erstaunten O. Er sah mir
direkt in die Augen.
»Hier
dürften wir ungestört sein. Was sagt Rohan?«
Das
Bild verschwand schneller, als es sich aufgebaut hatte. Der Kies vom
Weg oberhalb knirschte und ich sprang flugs hinter die Statue eines
nackten Mannes. O bitte, kein Pärchen, das sich zu einem
Schäferstündchen hierher zurückzog! Auf den Anblick
konnte ich gut und gern verzichten. Es reichte, dass ich das
steinerne Gemächt der Statue vor Augen hatte, sobald ich
zwischen den gespreizten Beinen durchschielte.
»Er
ist ganz erpicht darauf, die Halskette abzuholen«, erklärte
die Dame, die ein elegantes und sehr tief ausgeschnittenes Kleid
trug.
Wenn
die sich bückte, könnte man das Dekolleté als
Sparbüchse nutzen.
Dem
Mann schien das nicht aufzufallen. Er atmete erleichtert aus und
wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. »Wann
geht Ihr zu den Juwelieren?«, fragte er.
»Morgen.
Ich erkläre ihnen, dass Ende des Monats das Geld überbracht
wird, sobald die Steuern fällig wurden. Wir haben drei Wochen,
um die Diamanten loszuwerden.«
»Und
Rohan?«
»Dem
werde ich erklären, dass die Königin noch mit dem
Staatsbesuch von Österreich beschäftigt ist. Das wird ihn
hinhalten. Dann bleibt uns Zeit zu verschwinden.«
Ohne
selber gesehen zu werden, hatte ich durch die Beine der Statue eine
prima Sicht auf das Pärchen. Wenn ich von dem marmornen Gehänge
absah. Das konnte nur auf einer Wunschvorstellung basieren!
Der
Mann nickte. »Lass uns zurückgehen, Jeanne, ehe unser
Fernbleiben auffällt.«
Sie
lächelte kokett und trat näher an ihn heran. »Na und?
Wir sind verheiratet.«
Mich
überkam Panik. O bitte nicht! Ich wusste nicht, was ich jetzt
vorziehen würde, einen ausgebrochenen Löwen oder den
Anblick eines kopulierenden …
»Nein,
Jeanne, ich möchte mir nicht die Missbilligung der Königin
zuziehen.«
Seufzen.
Jeanne bedauernd, ich erleichtert. Sie verschwanden und ich wartete
noch ein wenig, bis ich keine Schritte mehr auf dem Kies hörte.
Jeanne und ihr Gatte hatten Diamanten! Und ich brauchte einen, um Lee
zu erreichen.
Obwohl
… es gab doch noch einen anderen Weg, Kontakt zu ihm
aufzunehmen. Warum war mir das nicht schon früher eingefallen?
Es reichte, die Nymphe Mildred zu rufen, die Lee und mir schon auf
unserer Mittelalter-Reise zur Seite gestanden hatte.
»Mildred?«
Ich plätscherte im Wasser des Sees. »Mildred!«
Plötzlich
schoss eine Gestalt meterhoch aus dem Wasser empor. Erschrocken fiel
ich rücklings auf den Rasen. Ich war von oben bis unten
nassgespritzt. In der frischen Herbstnacht begann ich augenblicklich
zu zittern.
Mildred
lachte laut. »Endlich hat es mal funktioniert! Lee und die
anderen Agenten sind einfach zu abgehärtet.« Sie schwappte
auf der Wasseroberfläche wie ein Korken.
»Du
siehst ja schrecklich aus. Noch schlimmer als damals im achten
Jahrhundert in Germanien. Deine Haare liegen fürchterlich.«
Ihre
blonde Mähne war unglaublicherweise wieder trocken und sah aus
wie die beim Drei-Wetter-Taft-Model. Ansonsten war Mildred
aufgetakelt wie eine … Schnell dachte ich an Heidi Klum in
ihrem Goldkleid bei der Oscar-Verleihung 2013. Beinahe hätte ich
vergessen, dass auch sie Gedanken lesen konnte.
Mildred
lächelte geschmeichelt. »So, du suchst also Lee? Er ist
nicht mehr hier.«
Erzähl
mir was Neues ,
dachte ich dieses Mal, als ich ihr in die Augen
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