Die dunkle Prophezeiung des Pan
dann winkelte er die Arme an und wiegte sie, als trage
er ein Baby. Wieder auf mich, wieder das wiegende Kind.
»Ich
hab kein Kind.«
Der
Finger deutete recht energisch auf mich, dann deutete er mit der
flachen Hand neben sich eine Größe an.
»Oh.
Ich als Kind!«, ging es mir endlich auf.
Er
nickte.
»Als
Kind war ich nicht in London. Ich bin in Cornwall aufgewachsen.«
Der
Schatten hob beide Daumen euphorisch nach oben.
»Geht
es ein wenig präziser? In meinem Heimatort?«
Dieses
Mal wieder das vage Schütteln.
»Wenn
ich dort hinfahre, könntest du mich begleiten?«
Jetzt
zeigten wieder beide Daumen enthusiastisch nach oben.
Großartig.
Ich sollte schon wieder verreisen. »Ich kann nicht sofort hin,
aber ich glaube, ich kann schon mal einen Teil besorgen«,
erklärte ich ihm beim Abschied. Er nickte und winkte mir
hoheitsvoll hinterher.
IM PUB
Ich
durchsuchte mein Zimmer noch einmal gewissenhaft nach der Fibel und
anschließend die ganze Wohnung. Nichts. Also machte ich mich
auf in den Pub.
Obwohl
ich seit einigen Wochen keinen Fuß mehr hier reingesetzt hatte,
wirkte es, als sei die Zeit stehengeblieben. Es roch wie immer nach
abgestandenem Alkohol, verräuchertem Holz und alles sah etwas
schäbig und heruntergekommen aus. Dieser Pub hatte seine besten
Zeiten – wenn er je welche gehabt hatte – in den
Sechzigern erlebt. Sogar die Gäste passten in diese Ära.
Die
drei Stooges saßen an der Theke und ich könnte beinahe
schwören, sie trugen die gleichen Klamotten wie immer. Karierte
Hemden bzw. Mike einen Rollkragenpulli, Arbeitshosen und –schuhe.
Mum
lächelte mich erfreut an. »Hallo, Schatz. Das ist aber
nett. Ich bekomme dich ja kaum noch zu sehen.«
Wieder
dieser leichte Vorwurf. Obwohl ich ihn ungerechtfertigt fand,
verursachte er mir ein bisschen ein schlechtes Gewissen. »Hi,
Mum. Hallo, ihr drei.«
Mike,
Ed und Stanley prosteten mir begeistert zu. Mike hatte bereits
einiges intus, denn er schlabberte beim Anheben seines Glases.
»Hey,
Feli, schön, dich wiederzusehen. Ich könnte schwören,
du bist größer geworden«, rief Stanley.
»Sie
ist mindestens fünf Inch gewachsen, seit Weihnachten«,
bekräftigte Mike lallend. »Auf alle Fälle bist du
dünner geworden.«
Jetzt
fehlte nur noch, dass sie mir den Kopf tätschelten. Stattdessen
…
»Wo
ist denn dein Freund? Der nette Schotte«, wollte Mike wissen.
Ed
knuffte ihn in die Seite. »Kein Schotte.«
»Ich
meine doch den Schauspieler«, verteidigte sich Mike.
»Aber
nein, ich meine den Gutaussehenden, den Blonden«, stellte
Stanley klar.
Ach,
Richard sah nicht so gut aus wie Lee? Wie amüsant. Armer
Richard. Er unterlag Lee schon wieder. Und ja, Lee sah besser aus.
Apropos Richard. Erschrocken fiel mir ein, dass ich mich nicht mehr
bei ihm gemeldet hatte nach jenem katastrophalen Abend. Während
meines Aufenthalts auf Avalon und in Versailles hatte er mir zwei SMS
gesandt. Dort hatte es natürlich keinen Empfang gegeben und so
hatte ich sie erst bei meiner Rückkehr gesehen, aber ganz
vergessen darauf zu antworten. Er war bestimmt sauer. Ich verdrängte
Richard auf später.
»Ich
muss mal kurz mit dir reden, Mum«, überging ich die Fragen
der drei Stooges. »Ich vermisse eine Art Brosche. Sie war aus
Gold und besaß einen sehr großen gelben Edelstein. Einen
Bernstein.«
Meine
Mutter begann hektisch das Regal hinter der Theke zu wischen. Ich
konnte im Spiegel dahinter genau erkennen, dass sie erschrocken war.
Hatte sie etwa gedacht, ich sei hierhergekommen, um ihr zu helfen?
»Was
soll das für eine Brosche sein, Felicity?«, fragte sie,
aber ihre Hand zitterte ein wenig, als sie das nächste Glas ins
Regal stellte. »Ich meine, wenn sie aus Gold ist und mit einem
großen Bernstein, woher kommt sie dann?«
Sehr
clever. Direkt zum Gegenschlag ausholen. Mum wusste genau, dass ich
eine solche Brosche nie geerbt hatte und sie mir noch weniger hätte
leisten können. »Sie gehört Lee«, log ich. »Er
hat sie mir zur Aufbewahrung gegeben, weil in seiner Gegend so oft
eingebrochen wurde.«
Mums
Wangen waren jetzt deutlich gerötet. Ihre Lider flatterten
nervös.
»Und,
Mum, hast du vielleicht ein Kleid gesehen, das in meinem Schrank
hing? Es war blau und cremefarben und hatte einen wunderschönen
Rock.«
Jetzt
drehte sie sich überrascht um. »Das habe ich Anna
zurückgegeben. Du hattest es dir doch von ihr für den Ball
geliehen.«
Oh,
Mist. Darauf wäre ich nie gekommen. »Nein, das war nicht
Annas Kleid. Das hatte
Weitere Kostenlose Bücher