Die dunkle Prophezeiung des Pan
Lee mir geschenkt«, erklärte ich
ihr bedrückt. Ich bezweifelte, dass meine Schwester ein solches
Kleid noch einmal rausrücken würde. Vor allem, wenn sie das
Etikett sah. Das Kleid, das sie mir geliehen hatte, war vom
Ausverkauf bei Marks and Spencer gewesen. Billiger Taft. Jon Georges
Kreation allerdings … Ich durfte nicht daran denken, wie viel
Lee für mich an diesem magischen Abend ausgegeben hatte.
»Ho
ho«, johlte Stanley vergnügt. »Du hast einen Galan,
der dir Klamotten kauft? Du weißt, was das bedeutet, Feli?«
Ich
sah ihn irritiert an. »Nein.«
»Wenn
Männer anfangen Klamotten für Frauen zu kaufen, meinen sie
es ernst. Das ist fast noch bindender als ein Ring«, erklärte
er in schulmeisterlichem Ton.
»Darauf
kannste wetten«, nickte Mike düster. »Als ich meiner
letzten Freundin die Unterwäsche gekauft habe, die sie sich
gewünscht hatte, hat sie mir den Laufpass gegeben. So weit wären
wir noch lange nicht. Ich konnte gehen. Die Unterwäsche hat sie
behalten.«
»Unterwäsche
ist ja wohl nicht dasselbe …«, versuchte ich den
Vergleich zu widerlegen.
»Klamotten
sind Klamotten. Man trägt sie am Leib, oder?«
Ich
dachte nur, sollte Lee es je wagen mir Unterwäsche zu kaufen …
Davon abgesehen waren wir verlobt. Er zumindest hatte es gewusst und sich sicher nichts
dabei gedacht. Ich räusperte mich und kam zu dem Punkt zurück,
weshalb ich eigentlich hier war. »Die Brosche, Mum …«
»Wieso
gibt dir dein Lee eine so wertvolle Brosche?«, fragte Stanley.
Die drei Stooges hatten unsere Unterhaltung neugierig verfolgt. »Wenn
der sich so ‘nen Krempel leisten kann, wieso dann keinen Tresor? Oder
ein Bankschließfach?«
Wieso
musste Stanley ausgerechnet heute seinen Kopf einsetzen? Nahm ihm
sonst nicht seine Leber diese Funktion ab? »Ist es nicht völlig
gleich, warum er sie mir gegeben hat?«, fauchte ich. »Tatsache
ist, er hat sie mir anvertraut und sie ist weg.«
»Oder
war sie statt ‘nem Ring ein Verlobungsgeschenk?« Jetzt knufften
sich alle drei feixend in die Seiten.
»Nein,
war sie nicht. Würdet ihr meine Mutter mal bitte zu Wort kommen
lassen? Ich weiß immer noch nicht, wo sie ist.«
Jetzt
waren alle still und sahen neugierig zu Mum.
»Patty,
hast du die Brosche?«, fragte Ed leise.
Mum
seufzte vernehmlich. Sie sah aus, wie ein Verurteilter, kurz bevor er
das Schafott betritt. Ich wusste schon, was sie sagen würde,
noch ehe sie es aussprach. »Ich habe sie verkauft. Letzte Woche
kam die Stromrechnung. Es war wohl die vierte Mahnung mit dem
Hinweis, sie würden den Strom am Montag abstellen. Ich hatte die
Brosche gefunden, als ich ein paar saubere Socken gesucht habe. Sie
war meine Rettung.«
Wir
schwiegen alle. Sogar die drei Stooges schienen betroffen. »Wem
hast du sie verkauft?«
»Philip
meinte, er würde …«
»PHILIP?!«,
schrie ich fassungslos.
Jetzt
begann Mum wieder energisch ein Glas zu polieren. »Nun ja, dein
Bruder kennt sich mit so was aus. Er kennt nun mal gewisse Leute und
scheut sich nicht, mir zu helfen. Du kennst ja nur noch Schauspieler
und Models.« Den letzten Satz warf sie mir mit vorwurfsvollem
Blick an den Kopf.
Ich
hatte genug gehört. Wenn Philip die Fibel hatte, hatte ich
ernsthafte Bedenken, ob ich sie je wiedersehen würde. Er hatte
seine Schulden damit beglichen und Mums Stromrechnung.
Ich
wandte mich um.
»Feli,
findest du es in Ordnung, deine Mutter so zu behandeln?«, rief
Stanley mir nach.
Ich
warf einen Blick zurück. Die drei Männer in ihren
verwaschenen Klamotten mit den blaugeäderten
Alkoholiker-Gesichtern und davor meine Mum, eine hübsche,
zierliche Frau, die mich mit ihren braunen Rehaugen tadelnd ansah.
Ich
wandte mich um und ging wortlos davon.
ERKENNTNISSE IM GESCHICHTSUNTERRICHT
»Das
russische Zarenreich war das letzte absolutistische Regime Europas.«
Ciaran legte seine Schultasche aufs Lehrerpult und klappte das
Smartboard auf. »Die Bauern waren noch Leibeigene, die Fürsten
mussten keine Steuern zahlen und der Adel lebte in Saus und Braus,
während der Rest des Volkes hungerte. Dieser ignoranten Opulenz
haben wir ein paar herausragende Kostbarkeiten zu verdanken. Nennt
mir ein paar Beispiele. Ja, Ruby?«
»Die
Eremitage.«
Ciaran
nickte zustimmend.
»Jack?«
»Die
Fabergé-Eier.«
»Richtig.«
Jack
Roberts drehte sich zu mir um und lächelte.
»Corey?«
»Den
Wodka?«
Alle
lachten.
Ciaran
rollte die Augen. »Wodka war wohl eher das Getränk der
Armen. Phyllis, willst du ihm
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