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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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vollständig erkaltet war. Da es danach nicht noch
einmal erhitzt werden konnte, ohne brüchig zu werden, war die Hälfte der
insgesamt vierzig Terreker Arbeiter, die in der Haupthöhle und den daran
anschließenden Tropfsteinverzweigungen vor sich hinwerkelten, damit
beschäftigt, entweder flüssiges Schwarzwachs in Gußformen zu gießen, oder
knetbar heruntergekühltes Wachs in die endgültige Form von Rüstungsteilen zu
bringen. Nur drei Arbeiter waren jeweils mit dem Fördern beschäftigt, fünfzehn
weitere mit den Kühlvorgängen.
    Dies waren die
unangenehmsten Arbeitsstellen. Umhüllt von giftigem Dampf, mit Lederschürzen
vor Gesicht und Körper, hantierten die Abkühler mit Schöpfkellen, umwickelten
Eisenzangen, Holzformen, Stofflappen, Zinnwannen und Steingefäßen, um die
schwarz glühende Flüssigkeit mit Hilfe des aus dem Bach abgeleiteten Frischwassers
auf eine annehmbare Temperatur herunterzuzwingen. Dabei wurde das Frischwasser
dermaßen verunreinigt und erhitzt, daß es aus der Höhle geschafft und aus dem
Talkessel hinausgebracht werden mußte.
    Wie zu befürchten
gewesen war, wurden Rodraeg, Migal, Hellas und Bestar genau hier eingeteilt.
Das war wohl nicht als Verhöhnung oder zusätzliche Bestrafung gedacht, sondern
es waren einfach die Arbeitsplätze, für die sich kein Terreker freiwillig
meldete. Da kamen vier Zwangsarbeiter gerade recht.
    Von fünf argwöhnischen
Kruhnskriegern umringt, wurden Rodraeg und Migal – Hellas durfte sich auch noch
ausruhen, weil Rodraeg versprach, für ihn mitzuarbeiten – die Ketten aus den
Befestigungsringen am Lager gelöst. Dann mußten sie, das schwere Eisen hinter
sich herschleifend, zu den Abkühlern hinüberschlurfen, und dort wurden sie
wieder an in die Felsen genagelten Ringen gesichert. Rodraeg, der von allen am
wenigsten verletzt war, gab sich tatsächlich Mühe, gut und zügig zu arbeiten,
und mußte sich dafür von dem widerspenstigen Migal so manchen kopfschüttelnden
Blick gefallen lassen. Für Rodraeg aber war die Zielsetzung ganz einfach: Er
wollte ihnen allen Heilung und Überleben ermöglichen, denn nur heil und
lebendig konnten sie etwas unternehmen. Darauf, daß er durch gute Arbeit zur
Verschmutzung des Laironsees beitrug, konnte und durfte er keinen Gedanken
verschwenden. Diese Arbeit würde ohnehin getan werden. Wenn nicht von ihm, dann
von einem anderen Arbeiter.
    In der rußig stinkenden
Höhlennacht dachte Rodraeg darüber nach, daß ausgerechnet er, der aus den
Sonnenfeldern stammte, zum Arbeitssklaven geworden war. Der Wohlstand der
Sonnenfelder hatte sich jahrhundertelang auf Sklaverei gegründet, bevor der
geheimnisumwobene Geisterfürst vor über siebenhundert Jahren die Macht an sich
riß, während seiner fast vierzigjährigen Schreckensherrschaft die
lichtdurchströmten Städte in schattige Gruften verwandelte und alle stolzen und
freien Bürger in Leibeigene. Nach der Befreiung durch König Rinwe, dem
Vereiniger, hatten fast alle sonnenfeldischen Städte und Ländereien der
Sklaverei abgeschworen, weil sich hartnäckig das Gerücht hielt, der
Geisterfürst sei ein Fluch gewesen, den eine aus dem südöstlichen Regenwald
entführte Sklavin über die Felder gebracht hatte. Nur die prunkvolle Stadt
Diamandan hatte diesem Aberglauben getrotzt und frönte noch heute dem
Sklavenhaltertum, als einzige Stadt des Kontinents.
    Rodraeg war nur vier-
oder fünfmal in seinem Leben in Diamandan gewesen, und jedesmal nur für wenige
Tage, aber er schämte sich jetzt dafür, daß ihn die offensichtlich
menschenunwürdigen Lebensverhältnisse der Sklaven nie besonders empört hatten.
»Das Sklavenhaltertum steckt uns allen im Blut«, hatte sein Onkel Severo einmal
zu ihm gesagt und dabei verächtlich ausgespuckt. »Aber der Mensch erniedrigt
sich, wenn er sich über andere erhebt.« Vielleicht, so dachte Rodraeg nun in
Momenten größter Erschöpfung, bin ich nun hier gelandet, um einen Teil meines
sonnenfelderischen Blutes von dieser Schuld zu reinigen. Vielleicht hat das
Ganze einen Sinn, einen Sinn im Dienste des Kreises oder sogar im Dienste der
Götter.
    So schlief er ein, und
selbst das dröhnende Deng-dengdeng-dengdeng in dieser Nacht vermochte ihn kaum
noch zu stören, so müde war er.
    Am folgenden Tag – er
und Migal arbeiteten

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