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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Eria ging auf ihn zu, packte ihn und drückte auch ihn
fest an ihren ausladenden Busen. Dann hielt sie ihn auf Armeslänge und
betrachtete ihn genauer. »Ihr habt ein gutes Gesicht, aber es ist etwas
beschädigt. Was in aller Welt ist euch beiden bloß widerfahren?«
    Naenn zog die gerötete
Nase hoch. »Laßt uns erstmal reingehen.«
    Drinnen war alles
vollgestellt und vollgehängt mit Kommoden, Setzkästen, Stickereien, Wandschränken,
Regalen, Vasen, Glasarbeiten aus Fairai, Beistelltischchen und getrockneten
Blumengebinden. Eria hatte kaum Platz, sich hier zu drehen und zu wenden, und
es war offensichtlich, daß sie alleine lebte. Vom Kreis war weit und breit
nichts zu sehen.
    Naenn erzählte kurz von
dem Überfall unterwegs und ließ Rodraeg dabei heldenhafter aussehen, als er
selbst sich in Erinnerung hatte. Eria fragte noch zweimal mit gerunzelter Stirn
nach, ob ganz sicher alles in Ordnung sei, und Naenn wurde fester und bestimmter
in ihrer Behauptung, alles sei gut. Rodraeg hatte das schwärende Gefühl von
Unheil in der Magengrube, aber er konnte sich selbst nichts erklären.
    Â»Die anderen sind alle
da?« fragte Naenn schließlich.
    Eria nickte. »Alle bis
auf Estéron. Vor zwei Tagen mußte er in einer dringenden Angelegenheit
aufbrechen, aber er läßt dich grüßen und dir ausrichten, daß er Euch in
Warchaim besuchen kommen wird.«
    Â»Das ist schade, daß er
nicht hier ist.« An Rodraeg gewandt erklärte Naenn: »Estéron ist der
Schmetterlingsmann, von dem ich Euch erzählt habe. Es ist mir unterwegs nicht
gelungen, Kontakt mit ihm aufzunehmen – wahrscheinlich war er von einer neuen
Aufgabe voll und ganz vereinnahmt.«
    Rodraeg nickte. »Ich
hätte gern andere von Eurem Volk kennengelernt. Dann eben in Warchaim.«
    Â»Geht jetzt rasch
hinunter, Kinder«, drängte Eria sanft und drückte Naenn eine leuchtende Laterne
in die Hand. »Sie warten schon.«
    Jetzt kam endlich
dieses Element des Geheimnisvollen und Verbotenen ins Spiel, auf das Rodraeg
schon die ganze Zeit über vergeblich gewartet hatte. Zum »Hinuntergehen«
steuerten sie nämlich keine Tür an, sondern einen der großen Schränke. Eria
öffnete ihn und entfernte die Bodenplatte. Darunter war eine Falltür, die
ebenfalls angehoben wurde. Metallische Sprossen führten einen kreisrunden
Schacht hinab, tiefer, als die Laterne leuchten konnte. Ein eigenartiger Geruch
stieg von unten herauf. Nicht nach Höhle oder Katakombe, eher nach aromatischem
Rauch.
    Naenn kletterte voran,
Rodraeg folgte ihr. Über ihm schloß Eria die Falltür und legte den Schrankboden
wieder ein. Das Licht kam jetzt nur noch von unten, von der Laterne an Naenns
Gürtel, aber es genügte, denn sie brauchten nur die Sprossen zu finden. Das
wäre zur Not auch im Dunkeln gegangen.
    Etwa zehn Meter tiefer
erreichten sie einen aus Stein gehauenen Quergang. Naenn wollte losgehen, doch
Rodraeg hielt sie zurück.
    Â»Haben wir noch Zeit,
kurz zu reden?«
    Â»Aber ja.«
    Â»Ihr wißt, daß Ihr mir
alles sagen könnt, sofern es auch nur im Entferntesten mit mir zu tun hat. Und
das, was gestern nacht geschehen ist, hat mit mir zu tun.«
    Sie sah ihn an. Die
Laterne in ihrer Hand beleuchtete ihr Gesicht aus einem ungewöhnlichen Winkel.
»Ihr macht Euch unnötige Sorgen, aber ich fühle mich geehrt, daß Ihr sie Euch
macht. Mir kamen nicht die Tränen wegen etwas, was passiert ist, sondern wegen
Eria. Sie war sehr gut zu mir, nachdem der Kreis mir offenbarte, welche
Verantwortung er mir übertragen möchte. Eria hat mich damals aufgefangen und
mir geholfen, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Als sie jetzt
die Tür öffnete … wurde ich von ihrer Freude erfaßt, mich wohlbehalten
wiederzusehen. Es hat mich regelrecht überschwemmt, ein Bruchteil davon mußte
in Form von Tränen aus mir heraus.«
    Â»Ihr seid in der Lage,
Gedanken zu erfassen und Gefühle?«
    Â»Manchmal. Wenn sie
sehr stark und eindeutig sind.«
    Â»Ihr macht es einem
wirklich nicht leicht, Euch gegenüber diskret zu sein.«
    Sie lächelte verlegen.
»Es kommt genau so selten vor wie das Gedankenlesen, das kann ich Euch
versichern. Aber wenn es vorkommt, dann manchmal zur falschen Zeit. Bringt Ihr
dennoch die Geduld auf, an meiner Seite zu bleiben?«
    Â»So lange Ihr es
wünscht.«
    Sie sah

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