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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Anderthalbhänder. So dicht,
daß Rodraeg sich bei einer hastigen Bewegung hätte schneiden können.
    Rodraeg verstand
überhaupt nichts mehr. »Hat er mein Geld geklaut?«
    Â»Nein.«
    Â»Er hat mich umgehauen
– und mir dann sein Schwert geschenkt?«
    Â»Er sagte, wenn Ihr
jemals auf mich aufpassen wollt, solltet Ihr lernen, damit umzugehen.«
    Â»Das ist doch …
das ist doch … – und mein Säbel?«
    Â»Den hat er
mitgenommen, um nicht ohne Waffe zu sein.«
    Â»Wußte ich’s doch!
Verdammter Dieb!« Rodraeg hieb mit der flachen Hand ins Gras. »Das war ein
Erbstück von meinem Onkel. Ich muß den Säbel wiederhaben.«
    Â»Ihr werdet ihn nicht
einholen. Die drei haben mehr als sechs Stunden Vorsprung.«
    Â»Was soll ich mit
diesem Riesenschwert? Das kann ich ja gar nicht handhaben!«
    Â»Ihr solltet es
lernen.« Naenn sah ihn eindringlich an. »Rodraeg, versteht Ihr denn gar nicht,
was hier passiert ist? Ryot Melron von der Roten Wand. Ein Dieb. Ein Mörder.
Auf einem Feldzug, der in Sinnlosigkeit begann und in Verlorenheit enden wird.
Solche Menschen machen keine Geschenke. Aber Euch hat er beschenkt. Wir müssen
das annehmen, denn dies ist nicht weniger als ein Rätsel, und Rätsel waren
schon immer die bevorzugte Sprache der Götter.«

4

Ein nicht ganz geschlossener
Kreis
    Sie gingen los im
ersten Licht des Tages. Rodraeg fühlte sich noch ein wenig wackelig auf den
Beinen, aber er sagte, es ginge schon. Zerknirscht vermutete er, daß er mit
seinem lädierten Gesicht wohl keinen guten Eindruck auf den Kreis machen würde.
    Â»Sie waren in der
Überzahl und bewaffnet«, beruhigte ihn Naenn. »Ich werde dem Kreis erklären,
daß Ihr Euch geschlagen habt, um mich zu schützen.«
    Rodraeg erinnerte sich
daran, wie Naenn zwei von den drei Kerlen mit Leichtigkeit durch die Luft
gewirbelt hatte. Vielleicht wäre sie alleine auch mit Ryot fertiggeworden.
    Â»Seid Ihr eigentlich
bewaffnet?« fragte er sie.
    Â»Ich habe ein kleines
Messer bei mir, um Kräuter schneiden zu können und Früchte. Aber ich kämpfe
nicht.«
    Â»Ihr habt aber
gekämpft, und ziemlich gut.«
    Â»Das war nur
Selbstverteidigung. Man kann die Gereiztheit und böse Energie eines Angreifers
gegen ihn verwenden, um ihn von den Füßen zu holen.«
    Â»Das sah recht
erfolgreich aus. Könntet Ihr mir das eines Tages beibringen?«
    Sie sah ihn an und dann
wieder woandershin. »Eines Tages. Durchaus vorstellbar.«
    So richtig hatte
Rodraeg nicht gewußt, was er mit dem Anderthalbhänder anfangen sollte. In von
Gardisten kontrollierten Gegenden des Kontinents konnte es als Provokation
aufgefaßt werden, wenn jemand mit einer blanken Klinge durch die Gegend lief.
Ryot Melron hatte das Schwert ohne Scheide getragen, an Trägergurten in
Lederschlaufen am Rücken. Er war auf Ärger aus gewesen. Rodraeg stand nicht der
Sinn nach Ärger, aber vorerst hatte er keine andere Wahl. Das Schwert paßte
nicht in seinen Seesack und war auch zu sperrig und schwer, um in den Gürtel
geschoben zu werden, also trug er es über der Schulter, die Hand am Griff, und
die Klinge spiegelte die Sonne und die Wolken.
    Den ganzen Tag über
wurde die Straße voller und voller. Am Nachmittag waren die beiden regelrecht
umgeben von Ochsenkarren, Pferdegespannen, Kutschen, Gardistentrupps, einzelnen
Reitern und vielen verschiedenartigen Reisenden zu Fuß. Die Anziehungskraft der
Hauptstadt bewirkte Geschubse und Geschnatter, Vorfreude und zur Schau
gestellte Gelassenheit, strenge Blicke der Gardisten und prahlerische Behauptungen
derjenigen, die schon einmal dort gewesen waren.
    Hinter einem
langgezogenen Hügel, über den die Straße sich in Kurven wand, kam sie dann in
Sicht, die Ebene von Aldava. Die Flüsse Selath und Anera glitzerten im
Sonnenschein, und zwischen ihnen, wie immer ein wenig verschleiert vom Dunst
und Rauch und Dampf der mehreren hunderttausend Menschen, die hier lebten:
Aldava die Prächtige, die Einzigartige, die Majestätische. Im innersten, am
höchsten aufragenden Ring der Königinpalast, das Gardehaupthaus und die
Leittempel der zehn Götter; unterhalb davon, von einer weißen, zehn Schritt
hohen Mauer umgeben, das Gebäudegewimmel der Stadt, und außerhalb der Mauer die
Elendsviertel, die sogenannte Außenstadt.
    Rodraeg fiel als erstes
auf, daß diese

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