Die dunkle Schwester
standen sie bis zur Brust im Wasser. Jetzt erst begriff Tania, dass sie in Lebensgefahr schwebte. Sie klammerte sich an die Reling und stemmte sich gegen die Wassermassen, die sie vom Deck zu fegen drohten. Ein tiefes schauriges Ächzen erfüllte die Luft. Das Schiff wurde auf die Seite gezerrt und das Deck kippte. Sie hörte Holz splittern und der ganze Schiffsrumpf erbebte.
Zackige Felsklippen ragten wie riesige schwarze Zähne im Regen auf. Dann schwappte ein Brecher über sie hinweg und nahm ihr die Sicht. Das Deck erbebte. Edrics Arm rutschte ab und Tania hörte ihn schreien. Das Holzstück, an dem sie sich festklammerte, hatte sich gelöst. Ein Strudel erfasste sie, sie wurde unter Wasser gezogen und wie eine Stoffpuppe herumgeschleudert. Sie ließ das Holz los und schwamm mit angehaltenem Atem, die Augen voller Schaumblasen.
Irgendwann stieß sie gegen etwas Hartes, Scharfes. Ein Fels. Sie fasste danach, aber das Wasser riss sie weg. Der Lärm des sinkenden Schiffes drang an ihr Ohr, vom tosenden Meer tausendfach verstärkt.
Ich ertrink e …
Dann stieß etwas gegen ihren Rücken. Schon wieder ein Fels, dachte sie verzweifelt, aber letztlich war es egal, ob sie ertrank oder an einer Klippe zerschmettert wurde. Sterben musste sie sowieso, es war aus und vorbe i …
Wieder ein Stoß, diesmal noch heftiger. Da war etwas, das sie vorwärts und nach oben drückte, und endlich nahm sie das grünliche Leuchten über ihrem Kopf wahr. Sie schöpfte wieder Hoffnung, strampelte mit den Beinen und schwamm an die Oberfläche. Keuchend tauchte sie aus dem Wasser auf und füllte ihre Lungen mit Luft. Ringsum tobten riesige Wellen, die Luft war von peitschendem Regen und dichtem Nebel erfüllt.
Wohin in aller Welt? Sie war ganz allein in dem Unwetter und ihre Kräfte ließen sie im Stich.
Plötzlich streifte etwas ihre Beine. Eine breite dreieckige Silhouette pflügte durch die See. Tania fasste danach und wurde in einer brodelnden weißen Fahrrinne durch das Wasser gezogen. Sie weinte vor Erleichterung: Die Wale waren ihr zu Hilfe geeilt.
Es war so dunkel, dass Tania nicht sehen konnte, wohin die Reise ging, aber immer wenn ein Blitz einschlug, erhaschte sie einen Blick auf ein hohes Kliff, das rechts von ihr aufragte. Plötzlich glitt der Wal unter ihr weg, und Tania blieb allein zurück, wassertretend und nach Luft ringend. Eine große stumpfe Schnauze stupste sie an und stieß sie zu den steilen Klippen hin. Das ist zu weit!, wollte sie schreien. Aber die Schnauze schubste sie noch einmal und da schwamm sie los.
Bald spürte sie etwas Festes unter den Füßen. Die Wellen schwappten gegen sie, als sie über eine glatte schlüpfrige Oberfläche stolperte. Die Brandung wälzte sie unablässig herum. Mit letzter Kraft schleppte sie sich aus dem Meer und lag keuchend auf einem glänzenden schwarzen Felsen.
Nach einer Weile rappelte sie sich auf und stolperte über die glitschigen Felsen zu einem steilen Überhang hinauf. Hier war sie zumindest vor dem Regen und dem eisigen Wind geschützt. Sie lehnte sich an einen Felsen, mit angezogenen Knien, die Arme um ihre Schultern geschlungen. Ihre Freude über die wundersame Rettung war schnell verflogen. Ihr Schwert war fort. Das Schiff war fort. Cordelia war fort. Allein und verlassen saß sie an dieser unwirtlichen Küste fest, und Edric wa r … nein, oh nein!
Nur nicht darüber nachdenken. Das war jetzt einfach zu viel für sie.
Vielleicht wäre es besser gewesen zu ertrinken.
Tania hatte bereits jede Hoffnung aufgegeben, als zwei dunkle Gestalten im Regen auf sie zukamen.
»Tania!«, rief eine der Gestalten.
Schreiend vor Freude sprang Tania auf und stürzte auf die beiden Gestalten zu, die sich als Edric und Cordelia entpuppten.
»Ich dachte, ihr seid beide tot«, schluchzte sie und vergrub ihren Kopf an Edrics Schulter.
»Ein Wal hat mich an Land gebracht«, berichtete Cordelia, als Tania ihr um den Hals fiel. »Habe ich dir nicht gesagt, welch edle Geschöpfe sie sind?«
»Mich haben sie auch gerettet«, sagte Edric. »Uns alle.« Er starrte auf die tosende See hinaus. »Hoffentlich passiert ihnen nichts.«
»Nein, Master Chanticleer, seid unbesorgt«, beruhigte ihn Cordelia. »Den Walen kann nichts geschehen. Sie werden jetzt in tieferes Wasser schwimmen.« Mit zusammengezogenen Brauen starrte sie zu der Steilklippe hinauf. »Doch wie soll es jetzt weitergehen? Dieses Unternehmen ist wahrlich vom Pech verfolgt.«
»Wir müssen zuallererst vom Strand weg«,
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