Die dunkle Schwester
ein paar verschnürte Tuchballen herum, die warme Wollumhänge mit weiten Kapuzen enthielten. Die drei Reisenden hüllten sich darin ein und Edric erzählte seine erfundene Geschichte. Der Fuhrmann stellte keine Fragen, denn die Schreckensnachricht vom Überfall der Grauen Ritter hatte sich bereits bis nach Weir verbreitet, und er konnte verstehen, dass sie der Gefahr entfliehen wollten.
»Aber wohin nun des Weges?«, fragte er schließlich. »In diesen Zeiten dürfen Reisende aus dem Süden nicht auf allzu viel Freundlichkeit hoffen, da Oberon unser Land entehrt hat, indem er Lord Gabriel in die Verbannung schickte.«
Tanias Magen krampfte sich zusammen. »Woher wissen Sie das?«, platzte sie heraus. Edric warf ihr einen warnenden Blick zu, aber der Fuhrmann antwortete unbeirrt: »Das weiß hier jeder, Mädchen. Es heißt, Lord Gabriel sei zu Unrecht am Königshof in Ungnade gefallen.« Kopfschüttelnd fügte er hinzu: »Eine verschlagene, heimtückische Brut, dieses Königshaus Oberon Aurealis.«
Cordelias Augen blitzten, aber Edric packte sie am Arm und hielt sie davon ab, hinterrücks über den Mann herzufallen. Zähneknirschend gab sie sich geschlagen und hielt still.
»Wir kennen da eine andere Geschichte«, erwiderte Edric vorsichtig. »Soviel wir gehört haben, war die Strafe, die der König eurem Lord Gabriel auferlegt hat, mehr als verdient.«
»Gewiss wird man bei euch im Süden anders darüber denken«, räumte der Fuhrmann ein. »Doch tätet ihr gut daran, solche Reden für euch zu behalten, solange ihr durch Weir reist, damit ihr nicht vom Regen in die Traufe kommt.« Er schnalzte mit den Zügeln und fügte hinzu: »Und ich rate euch, ganz besonders auf eure Worte zu achten, wenn eure Reise heute Abend zu Ende ist.«
»Warum?«, wollte Tania wissen. »Wohin fahren wir überhaupt?«
»Ja nun, nach Caer Liel, Mädchen«, entgegnete der Mann. »Und seht he r – da ist es schon!«
Tania zog sich auf die Knie hoch und spähte dem Fuhrmann über die Schulter. Als sie um eine Wegbiegung kamen, öffnete sich vor ihnen ein langes steiles Tal, und am anderen Ende, auf einem schroffen schwarzen Berg, ragte die Festung Weir mit ihren schwarzen Mauern und den schwankenden roten Wachlichtern auf. Es war der Stammsitz von Gabriel Drakes Familie.
XV
V on bösen Vorahnungen erfüllt, ergriff Tania Edrics Hand, als der Wagen den höchsten Punkt des langen Zickzackwegs erreichte, der zum Torweg der Burg von Lord Drake führte. Wie gierige Krallenfinger ragten die Türme von Weir in den stürmischen Himmel. Dunkle Banner knatterten im Wind und der Regen schoss in Sturzbächen von den Zinnen der Burg herab. Ein Mann in einem Umhang trat aus dem Wachhaus und redete kurz mit dem Fuhrmann, ehe er wieder in der Düsternis verschwand. Die riesigen, mit schwarzem Stein beschlagenen Holztore gingen knarzend auf. Der Fuhrmann trieb seine Pferde an und der Wagen rumpelte durch den dunklen, hallenden Torweg in einen gepflasterten Burghof hinein.
»Und nun lebt wohl!«, rief der Fuhrmann. »Mein Weg führt zu den Ställen, aber ihr müsst euch beim Hauptmann der Burgwache anmelden. Und fürchtet nichts: Er wird euch nicht abweisen. Ihr dürft auch die Mäntel behalten, die ich euch geliehen habe.«
»Das ist sehr freundlich«, sagte Edric.
»Es heißt, ein großmütiges Herz trägt seinen Lohn in sich selbst, und vielleicht werden mir die Glücksgeister irgendwann einmal beistehen für meine guten Taten.«
Tania und die anderen stiegen vom Wagen und blickten ihm nach, als er zwischen den hohen Steintürmen davonrumpelte.
»Denkt daran, was er gesagt hat«, warnte Edric. »Sprecht nicht mehr als unbedingt nötig und sagt nichts, was euch verraten könnte. Niemand darf wissen, woher wir kommen.«
»Ich verstelle mich nicht, Master Chanticleer«, protestierte Cordelia entrüstet. »Wenn ich gefragt werde, sage ich frei heraus, dass ich eine Tochter von König Oberon bin.«
Tania legte ihrer Schwester die Hand auf den Arm. »Cordie«, bat sie, »bitte vergiss dieses eine Mal, wer du bis t – bitte!«
Cordelia schnaubte angewidert. »Ich werde nicht zur Lügnerin.«
»Mylady, dann seid so gut und schweigt«, sagte Edric.
Im selben Moment ging eine Tür auf, und das warme rote Licht, das von drinnen kam, wies ihnen den Weg in den einfachen Wachraum.
»Ich bin Nathaniel Ambrose, Hauptmann von Lord Aldritchs Burgwache«, begrüßte sie ein großer Mann in einer schwarzen Uniform. Er schlug die Tür hinter ihnen zu, um
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