Die dunkle Schwester
sagte Edric. »Das hier ist nicht die Wildnis von Prydein. Wir sind an der Küste von Weir. Hier gibt es Straßen und Dörfer und Berghöfe. Es wird uns schon jemand helfen.«
»Aber die Königin hat uns gewarnt, nicht auf Lord Aldritch zu zählen«, wandte Cordelia ein. »Glaubt Ihr denn, dass zwei Elfenprinzessinnen an einem solchen Ort zu einer solchen Zeit Zuflucht finden werden?«
»Oh ja, solange niemand weiß, wer ihr seid«, erwiderte Edric. »Wenn wir gefragt werden, gebe ich mich als Edwin Poladore aus und euch beide als meine Schwestern Dorimar und Brosie. Wir werden sagen, dass wir aus dem Süden kommen und vor den Grauen Rittern geflohen sind. Aber kein Wort über das Schiff, hört ihr? Wir erzählen den Leuten, dass wir mit dem Wagen unterwegs waren und ein Rad verloren haben, und dann sind uns die Pferde durchgegangen. Und jetzt sind wir auf dem Weg in das Dorf Lud.«
»Ist das ein Ort, den es wirklich gibt?«, fragte Tania.
»Ja, ein abgelegener Weiler in den Bergen oben, im Quellgebiet des Lych«, erwiderte Edric. »Falls jemand fragt, sagen wir, dass wir dort Verwandte haben.« Er wischte sich den Regen aus den Augen und spähte zum Kliff hinauf. »Aber jetzt müssen wir erst mal vom Strand we g – und das wird vermutlich etwas schwierig werden.«
Der Aufstieg war weniger anstrengend, als Edric gedacht hatte. Sie fanden bald eine Stelle, wo das schwarze Gestein geborsten und abgebröckelt war und Händen und Füßen genügend Halt bot. Trotzdem war es mühsam durch das Chaos aus regennassen Felsbrocken, wassergefüllten Klüften und windgepeitschtem Gestrüpp, aber sie kamen stetig voran.
Tania war bald durchgefroren bis auf die Knochen. Trotzdem kletterte sie verbissen weiter, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, einen Arm bei Edric untergehakt. Cordelia ging ein Stück vor ihnen, tief geduckt unter dem prasselnden Regen. Plötzlich merkte Tania, dass der Boden unter ihren Füßen nicht mehr so holprig war, und blickte sich neugierig um. Der Weg, dem sie folgten, wand sich durch die Berge, ein einfacher, löchriger Erdpfad, schlammig vom Regen, aber das erste hoffnungsvolle Zeichen, das auf bewohnte Gegenden hinwies.
»Was glaubt Ihr, in welcher Richtung unsere Zuflucht liegt, Master Chanticleer?«, sagte Cordelia zu Edric.
»Ich weiß nicht, Mylady«, gab Edric kleinlaut zu.
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
»Hier lang«, bestimmte Tania schließlich und ging nach links, die beiden anderen mit sich ziehend.
»Warum?«
»Weil es bergab geht.«
»Horcht!«, zischte Cordelia. Es war das erste Wort, das seit einer Ewigkeit gefallen war. Der Weg durch die Berge hatte sich als Enttäuschung erwiesen, denn sie irrten nun schon seit Stunden ziellos herum.
Jetzt hielten sie an. Tania lauschte angestrengt, hörte aber nur das Heulen des Sturms und das Rauschen des Regens. »Was ist?«, fragte sie.
»Hufe«, sagte Cordelia. »Und Räder. Und Gesang. Auf dem Weg hinter uns.«
Tania drehte sich um und starrte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach ein paar Sekunden tauchte ein Pferdegespann hinter einer Biegung auf. Die Pferde trotteten mit gesenktem Kopf dahin. Der Wagen hatte hohe Holzwände und eine Dachplan e – und vorn auf dem Kutschbock saß breitbeinig ein Mann in einer schweren Öljacke. Er sang lauthals und schnalzte mit den Zügeln dazu.
»Der Mann im Mond zieht seinen Schlafrock aus,
löscht seine Kerz, lässt die Latern zu Haus.
Legt an seine beste Festtagshaut,
zu feiern, bis der Morgen graut,
zu feiern, bis der Morgen graut.«
Tania, Edric und Cordelia drängten sich am Wegesrand zusammen, als der Wagen näher kam. »Rede nur, wenn es unbedingt sein muss«, sagte Edric zu Tania. »Er wird sonst misstrauisch, wenn er deine Sprache hört.«
Dann trat Edric mit erhobenen Händen vor. »Sei gegrüßt!«, rief er laut. »Drei verirrte Wanderer suchen Hilfe in dieser stürmischen Nacht.«
Der Fuhrmann zog die Zügel an und die Pferde blieben stehen. »Was in Dreiteufelsnamen höre ich da? Verirrte Wanderer? Nur ein Narr wagt sich in einer solchen Nacht hinaus! Nein, spart euch die Antwort, steigt nur flugs in meinen Wagen, dort ist Platz genug. Ich führe Vorräte mi t – und Mäntel. Hüllt euch darin ein und macht es euch bequem. Und dann erzählt mir, was drei nasse Häufchen Elend bei einem solchen Wetter in dieser Einsamkeit verloren haben.«
Dankbar stiegen sie in den Wagen, der mit Kornsäcken und Obst- und Gemüsekörben beladen war. Dazwischen lagen
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