Die dunkle Schwester
kein Falke am Himmel und kein Hase hoppelt durch die Heide, ohne dass ich es weiß«, antwortete Bryn. »Ich sprach heute Morgen mit Raben, Hühnerhabichten und Feldlerchen, und alle erzählten mir von der großen Jagd, die nun ausgerufen se i – von der Rückkehr des jungen Herzogs und seiner Suche nach Prinzessin Tania und ihren Gefährten, die bei Nacht und Nebel aus der Burg hierher ins Hügelland geflohen seien. Ich fürchte, er will ihnen nichts Gutes, wenn er sie findet«, fügte er mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. Dann hielt er einen Augenblick inne und sah sie durchdringend an. »Ich kann Euch Unterschlupf gewähren, wenn Ihr es wünscht«, sagte er.
»So bist du kein Getreuer des Hauses Weir?«, fragte Cordelia.
»Treu bin ich wohl, aber nur diesem Land hier, Mylady«, sagte er. »Den Vögeln und Tieren, den Hügeln und Bächen. All das würde ich mit meinem Leben verteidigen. Doch wer Einhörner zum Vergnügen tötet, dem kann ich nicht dienen, ebenso wenig wie einem gewissen jungen Herrn, den unser guter König Oberon zu Recht verbannt hat. Besonders, seit sich dieser hoffnungsvolle Spross des Hauses Weir zum Handlanger des Monsters von Lyonesse gemacht hat.«
Eines der Einhörner war zu ihm hinübergetrottet, und Bryn streichelte den langen weißen Hals des Tiers, das Tania herausfordernd anstarrte, als wollte es seinen Freund vor ihr beschützen.
»Kannst du uns helfen, von hier wegzukommen?«, fragte sie. »Wir sind auf dem Weg nach Ynis Maw. Denn König Oberon sitzt dort gefangen und wir möchten ihn befreien.«
Cordelia warf ihr einen missbilligenden Blick zu.
»Wir müssen ihm vertrauen, Cordelia«, sagte Tania schulterzuckend. »An wen sollen wir uns sonst wenden?«
Bryns dunkle Augen weiteten sich. »Prinzessin Cordelia?«, rief er aus, ehrfürchtiges Staunen lag in seiner Stimme. »Ich habe von Eurer innigen Verbindung zu den wilden Tieren gehört, Mylady. Es heißt, Ihr könnt mit allem sprechen, was auf dieser Erde kreucht und fleuch t – mit den Vögeln in der Luft und den Fischen im Wasser.«
»Das ist wahr, nur nicht mit wilden Einhörnern, wie mir scheint, Master Lightfoot«, antwortete Cordelia. »Das ist eine Kunst, die ich noch lernen muss.«
»Ich kann es Euch gerne lehren, sofern die Zeit dafür reicht«, antwortete Bryn. »Komm t – mein bescheidenes Heim liegt ganz in der Nähe. Wenn Ihr damit vorliebnehmen wollt, seid Ihr mir willkommen. Essen und Trinken ist genügend da, und wir werden darüber beraten, wie wir Euch schnell und sicher auf den Weg bringen können.«
Bryns Hütte schmiegte sich unter einen Kalkfelsen, sodass es aussah, als würden die unverputzten Wände direkt aus dem Hang herauswachsen. Das Dach war mit einem dichten grünen Grasteppich bedeckt und fügte sich nahtlos in die raue Hügellandschaft ein.
Geduckt gingen sie unter dem niedrigen Türstürz der rindenbedeckten Holztür durch, aber innen weitete sich die Hütte zu einem großen luftigen Raum, der von Binsenlichtern erleuchtet war. Der Steinboden und die Wände waren mit geflochtenen Schilfmatten ausgekleidet.
In einem steinernen Herd flackerte ein Feuer, und darüber hing ein brauner Tonkessel, in dem ein dicker Eintopf blubberte. Tania zog den köstlichen Duft nach Kräutern und gekochtem Gemüse ein. Der Raum war nur spärlich möbliert. Ein schmales Bett mit Wolldecken stand an der Wand, und auf ein paar flachen Steinen lagen Messer, Schalen und Binsenlichter. Eine schalenförmige Vertiefung in einem großen Stein war mit Essen gefüllt, mit Früchten, Fleisch und Dörrfisch, und an der Seite standen Steinkrüge, randvoll mit klarem Wasser.
»Lebst du hier allein?«, fragte Tania.
»Nein, Mylady«, sagte Bryn. »Ich teile dieses Tal mit allen Tieren und Vögeln.« Er zog an einem Seil, worauf sich ein Teil des Daches öffnete und helles Sonnenlicht hereinließ. Dann hakte Bryn das Seil fest, ging herum und löschte die Binsenlichter. »Ihr müsst hungrig und müde sein«, sagte er. »Nun komm t – esst und trinkt und ruht Euch aus.«
Die Reisenden setzten sich auf den Boden, und Bryn schöpfte von dem Eintopf in hölzerne Schalen, die er ihnen reichte. Tania aß gierig. Das warme Essen war eine Wohltat nach der eisigen Nacht im Bergland von Weir.
»Ist es üblich im Herzogtum Weir, dass die Bewohner mutterseelenallein in der Wildnis leben, fernab von ihren Landsleuten?«, fragte Cordelia neugierig. »Ich habe bisher nichts dergleichen gehört.«
Bryn hatte sich auf den
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