Die dunkle Schwester
senkte sich das Land in einer Reihe von schmalen Bergseen ab, die durch Wasserläufe wie mit weißen Fäden verbunden waren.
Tania schlief tief und traumlos, als eine leise Stimme an ihr Ohr drang und eine Hand sie wach rüttelte. »Ist das schon meine Wache?«, murmelte sie.
»Nein«, wisperte Cordelia, ihr Gesicht dicht an ihrem Ohr. »Aber da ist etwas, was ich dir zeigen will.«
Tania stand auf und ging mit ihr zum Rand des Plateaus. Edric war schon dort. Er hockte auf den Fersen und schaute hinunter. Sie folgte seinem Blick und bemerkte ein Feuer, das auf einem der unteren Hänge brannte.
»Sei still und sieh es dir an«, sagte Cordelia.
Tania kauerte sich neben Edric, eine Hand auf seiner Schulter. Dunkle Gestalten bewegten sich um das Feuer. Ganz schwach hörte sie ihre Stimmen, die schrill und heiser klangen.
»Sie tanzen«, sagte sie und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dann sah sie genauer hin. Es war eine ganze Gruppe von Leuten, die um das Feuer sprangen, und jetzt vernahm sie leise Flötenklänge und Trommelschläge in der Ferne.
»Fällt dir nichts auf?«, fragte Edric.
Tania kniff die Augen zusammen. Da stimmte doch etwas nicht mit der Art, wie sie sich bewegten. Ihr Tanz hatte etwas Ruckartiges, fast Vogelähnliches.
»Oh!«, rief sie entsetzt, als die Gestalten sich deutlicher abzeichneten. »Ihre Beine zeigen ja in die falsche Richtung!«
Von der Hüfte aufwärts sahen die fernen Gestalten wie ganz normale Menschen aus, aber ihre Beine waren verkehrt herum angewachsen, die Knie nach hinten durchgebogen, sodass sie mehr einherstelzten als gingen.
»Was sind das für Wesen?«
»Ich weiß nicht«, gab Edric zu.
»Sie dürfen uns nicht sehen«, warnte Cordelia. »Kommt, weg hier! Ich sagte euch ja, dass diese Gegend voll seltsamer Wesen ist. Legt euch wieder hin und schlaft.«
Tania beobachtete noch für ein paar Augenblicke den bizarren Tanz, ehe sie zu ihrem Lagerplatz zurückging und sich wieder hinlegte. Sie schlief auch sofort ein, aber die springenden Flammen und unheimlichen Tänzer verfolgten sie bis in ihre Träume.
Schließlich standen sie auf hohen dunklen Felsklippen und blickten auf eine endlose, leuchtend blaue Wasserfläche hinaus. Wellen klatschten in der Tiefe an die Felsen und jagten meterhohe weiße Gischtfontänen herauf. Der Wind fegte vom Meer her, zerrte an ihren Mänteln und fuhr in die Mähnen und Schweife der Einhörner. Schwarze Vögel kreisten in der Luft und schossen kreischend auf und ab.
»Wenn ich mich nicht irre«, schrie Edric über das Heulen des Windes hinweg, »ist die dunkle Masse dort drüben entweder Obervoltar oder Rhoth!«
Tania starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne. Eine niedrige Landmasse ragte aus dem dunklen Wasser am Horizont empor. »Ist das gut?«
»Es bedeutet, dass wir Fidach Ren erreicht haben«, antwortete Cordelia. »Unsere Rosse haben uns gute Dienste geleistet. Wir sind rasch vorangekommen, wenn das Elfenreich in den Karten, die mir gezeigt wurden, richtig wiedergegeben ist.«
»Und wie weit ist es noch bis Ynis Maw?«, fragte Tania und zog ihren Mantel enger um sich.
»Heute kommen wir nicht mehr dorthin«, sagte Edric. »Aber morgen vielleicht.«
»So lasst uns reiten!«, rief Cordelia. »Reiten wie der Nordwind!«
Tania tätschelte Tanz den Hals, und die drei Einhörner schossen am Klippenrand entlang zu den düster aufragenden Bergen.
Keiner von ihnen machte auch nur ein Auge zu. Die Nacht war pechschwarz und vom Ächzen des Sturmes erfüllt. Sie drängten sich in ihren Mänteln zusammen und lauschten auf den Wind, der zwischen den Felsen heulte und zischte. Aber es war nicht das Geräusch des Windes, das sie am meisten beunruhigte.
Tania hatte es während ihrer Wache zum ersten Mal gehört: ein tiefes dumpfes Geräusch, wie von etwas Großem, Schwerem, das sich durch die Berge schleppte. Und dann kam das Lachen und Schreien und Rufen, da erklangen die Stimmen im Wind, weit entfernt, aber gespenstisch und furchterregend. Ein roter Glanz hatte sich über den Bergen ausgebreitet. Tania hatte sich hinter einen großen Felsen geschlichen und hinübergespäht, da hatte sie eine Herde schwarzer Pferde auf dünnen Heuschreckenbeinen durch die Nacht galoppieren sehen, mit Mähnen und Schweifen wie lodernde Flammen. Zitternd vor Angst war sie zu den anderen zurückgekrochen.
Jetzt waren sie alle wach und klammerten sich aneinander, während der Boden unter dem Gewicht eines langsam dahingleitenden Wesens erbebte.
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