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Die dunkle Schwester

Die dunkle Schwester

Titel: Die dunkle Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frewin Jones
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Kaltes, das sie verhöhnte.
    Am nächsten Morgen, der sich hell und frisch ankündigte, galoppierten sie am Ufer eines langen stillen Seearms entlang. Die seidige Wasserfläche spiegelte die jagenden Wolken und die fernen braunen Berge wider, die senkrecht am gegenüberliegenden Ufer aufragten. Der Wind rauschte in Tanias Ohren und fegte ihre nächtlichen Ängste hinweg. Der Boden, der unter den Hufen ihrer Einhörner dahinglitt, war mit hohem braunem Gras bedeckt. Dort, wo das Land jenseits des Seeufers anstieg, waren die Hügel mit dichten grünen Kiefern bewachsen, deren Duft die kühle Luft erfüllte.
    Sie rasteten eine Weile am nördlichen Ende des langen Sees, aßen etwas von dem Proviant, den Bryn ihnen mitgegeben hatte, und die Einhörner trotteten ans Ufer hinunter und tranken. Weiße Wolken türmten sich am Horizont auf. Die Kiefernwälder reichten jetzt weiter ans Ufer herunter, sodass nur ein schmaler Streifen Land zwischen Wald und See lag. Im Norden ragten Heidehügel auf, die ihr nächstes Ziel waren.
    Edric streckte sich der Länge nach im Gras aus und starrte in den Himmel hinauf. Tania und Cordelia saßen dicht daneben. Cordelia hatte die Beine überkreuzt und hielt die doppelte Pfeife im Schoß, die Bryn ihr gegeben hatte.
    »Probier sie doch mal aus«, schlug Tania vor.
    »Nein, nein, ich habe nicht die Gabe«, wehrte Cordelia ab.
    »Ach Quatsc h – du setzt einfach deine Finger auf die Löcher und bläst rein. Das kann doch jeder.«
    Cordelia gab keine Antwort.
    »Wäre es dir recht gewesen, wenn Bryn mitgekommen wäre?«
    »Vielleicht«, murmelte Cordelia. »Er ist in meinen Gedanken, das ist wohl wahr.« Sie sah Tania an. »Ich möchte ihn gern wiedersehen.«
    »Na klar doch.«
    Tania stand auf, streckte sich und spähte zum Wald hinauf. Die schlanken braunen Stämme unter dem grünen Nadeldach verloren sich in tiefem Dunkel. Plötzlich runzelte Tania die Stirn. Was war das für eine Bewegung zwischen den Bäumen? Etwas leise Schwankendes, das aussah wie Astgeflecht oder ein Baumschatten.
    Die Augen zusammengekniffen, ging sie zum Waldrand. Ein paar Sekunden lang geriet ihr die Stelle, an der sie die Bewegung erhascht hatte, aus dem Blick, dann rührte sich wieder etwas im Schatten, und plötzlich kam eine merkwürdig verästelte Silhouette zum Vorschein, und sie begriff, dass sie auf ein großes majestätisches Geweih blickte.
    Aufgeregt drehte sie sich um. »Da drin ist ein Hirsch. Er muss riesig sein!«, rief sie den anderen zu.
    Cordelia und Edric standen auf und kamen zu ihr herüber. Schweigend spähten sie ins Baumdickicht, dann sagte Cordelia mit gedämpfter, eindringlicher Stimme. »Kommt weg hier, schnell! Wir müssen hier weg!«
    »Warum?«, fragte Tania verwundert. »Er tut uns doch nichts, oder? Kannst du nicht auch mit Hirschen reden?«
    »Ja, das kann ich wohl«, flüsterte Cordelia. »Aber das hier ist kein Hirsch. Hast du seine Hinterläufe gesehen?«
    Verwirrt starrte Tania in das Dunkel hinter dem Geweih. Cordelia hatte Recht; das war doch kein Hirsc h …
    »Das ist ein Mann«, murmelte Edric.
    Im selben Moment drehte die Kreatur den Kopf, und Tania starrte sekundenlang in zwei blattförmige gelbe Augen, die wie Sonnen in einem pelzigen Gesicht glühten, das halb menschlich und halb tierhaft war. Das Wesen öffnete jetzt sein breites Maul, die gespaltene Oberlippe zog sich zurück, und darunter kamen lange weiße Zähne zum Vorschein. Ein tiefer bellender Schrei ertönte, so durchdringend, dass die Vögel von den Bäumen aufstoben.
    Voller Panik ergriffen sie die Flucht. Die Einhörner warteten mit rollenden Augen und stampften aufgeregt mit den Hufen. Tania schwang sich auf den Rücken von Tanz, der davonschoss, dass die Erde hinter ihm nur so aufspritzte. Als sie noch einmal über die Schulter blickte, trat der Geweihmann aus dem Wald und starrte ihnen nach. Er war breitschultrig und kräftig, sein ganzer Körper von zottigem braunen Fell bedeckt. Die Gestalt war riesig, mindestens drei Meter groß. Dann galoppierten sie um die nächste Seebiegung und er verschwand aus ihrem Blickfeld.
    »Was war das?«, rief Tania Edric zu.
    »Der Furlingsbarl!«, rief Edric zurück. »Er ist ein Walddämon!«
    »Das ist eine üble Gegend!«, rief Cordelia und der Wind trug ihre Stimme davon. »Ein Land, in dem Ungeheuer leben!«
    Die Nacht brach herein, diesmal war sie sternenklar und still. Sie waren jetzt wieder in den Bergen und kampierten an einer engen steinigen Stelle. Unter ihnen

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