Die dunkle Seite der Dinge
Weg begleitete. Etwas
abseits entdeckte er Mikes Nachbarin Wilma, die von heftigen
Weinkrämpfen geschüttelt wurde und immer wieder lautstark
in ihr Taschentuch schnäuzte.
Wellinger wusste,
dass sie sich schwere Vorwürfe machte, nicht auf die merkwürdigen Geräusche, die aus Mikes Wohnung gedrungen
waren, reagiert zu haben. Mit Selbstvorwürfen überladen und
von hektischen Flecken im Gesicht und auf Dekolletee gekennzeichnet,
war sie bei ihm im Präsidium aufgetaucht. Er hatte ihr gut
zugeredet, um ihr die Schuldgefühle zu nehmen, doch Wilma hatte
immer verzweifelter ihr durchnässtes Taschentuch in den riesigen
Händen gewrungen. Ein Anblick, der ihn zutiefst rührte und
obwohl Mikes Nachbarin ihn bei ihrer ersten Begegnung mehr als
schroff behandelt hatte, war er zu ihr getreten, um sie in den Arm zu
nehmen. Die mitfühlende Geste löste erst recht einen
sintflutartigen Tränenstrom aus. Es hatte einige Zeit gedauert,
bis Wilma schniefend von dannen gezogen war.
Dagegen schienen Franziskas
Tränen gänzlich versiegt zu sein. Wie erstarrt stand sie
neben ihm. Sie bemerkte seinen besorgten Blick. „Mein Bruder
hätte dieses Spektakel geliebt“, flüsterte sie, ohne
ihm ihr Gesicht zuzuwenden. Mehr brachte sie nicht über die
Lippen. Es schmerzte ihn, sie so zu sehen und er konnte nur im Ansatz
ahnen, was sie in diesem Moment durchmachte.
Nach dem Auffinden von Mikes
Leiche, hatte sich Hagen einen ganzen Tag im Institut der
Rechtsmedizin eingeschlossen, um die sterblichen Überreste
eingehend zu obduzieren.
Ich will dabei sein. Wellinger war es kalt den Rücken hinuntergelaufen, als er
Franziskas Forderung vernahm. Gott sei Dank hatte Hagen ihr Ansinnen
zu verhindern gewusst. Vertrau
mir! Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht. Aber du bist
nicht dabei! Seine
Worte waren deutlich gewesen. Franziska beugte sich, jedoch weniger
seiner Autorität, als seiner Vertrauenswürdigkeit.
Als Wellinger das
Obduktionsergebnis in den Händen hielt, war er dankbar,
Franziska die schlimmsten Details ersparen zu können. Mike Stein
war durch einen gezielten Stich ins Herz ums Leben gekommen. Zuvor
musste er schon benommen gewesen sein. Dafür zeigten sich
mehrere Schläge gegen den Kopf verantwortlich, die eine
Einblutung ins Hirn verursacht hatten. Zudem wies der Leichnam
zahlreiche Knochenbrüche und Hämatome auf, die ihm noch vor
seinem Tod zugefügt worden waren.
Die Soko ging fieberhaft der
Frage nach, wie es dem Täter gelingen konnte, den Leichnam
unbemerkt im Bereich der Kölner Wirtschaftsbetriebe abzulegen.
Das Gelände war nachts abgeriegelt und wurde zudem bewacht. Es
lag nahe, dass man die Mitarbeiter des Betriebshofes eingehend
befragte. Als den Männern klar wurde, dass sie unter Verdacht
standen, einer ihrer Kollegen könnte in die Sache verstrickt
sein, zeigten sie sich zutiefst verletzt und empört. Doch die
Männer hatten das Herz auf dem rechten Fleck. Schließlich
ging es um Mord und so etwas durfte es auf ihrem gepflegten
Betriebshof nicht geben. Tatkräftig versuchten sie von nun an,
die Ermittlungen zu unterstützen, indem sie unermüdlich
Rede und Antwort standen. Hilfsbereit hatten sie die Polizei
unterstützt und alle Bereiche zugänglich gemacht. Leider
hatte es zu nichts geführt.
Als der Sarg in die Grube hinab
gesenkt wurde, kam Bewegung in die Trauergemeinde. Wilmas Schluchzen
steigerte sich um einige Dezibel. Franziska trat mit zitternden
Beinen an den Rand des Familiengrabs heran. Ihre Eltern hatten die
Zwillinge schon vor fünf Jahren nach einem Verkehrsunfall
beerdigen müssen. Sie richtete ihren Blick auf ein Blatt Papier.
Mechanisch strich sie es mit ihren Händen glatt. „Liebe
Freunde!“, begann sie leise. Ihre Stimme wurde augenblicklich
von einem lauten Krächzen übertönt. Erstaunt richtete
die Trauergemeinde den Blick in die eindrucksvolle Platane, unter der
sie versammelt stand. Auf den ausladenden Ästen hatte sich ein
Schwarm Alexandersittiche niedergelassen. Die exotischen Vögel
flatterten mit ihren Flügeln und veranstalteten ein lautstarkes
Spektakel. Ihr grünes Gefieder leuchtete in der Sonne.
Franziska zögerte einen
Moment, dann knüllte sie das Papier zusammen und nahm die
Sonnenbrille ab. „Eigentlich wollte ich euch etwas über
den Schmerz, und über die Trauer erzählen, aber was könnte
ich sagen, was viele von euch nicht schon selbst erfahren haben?
Diejenigen von euch, die meinen Bruder gekannt haben, wissen, dass er
das Leben in vollen Zügen
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