Die dunkle Seite der Dinge
empfinden. Was ich voll und ganz
nachvollziehen kann. Sie ist eine ungewöhnliche Frau. Deshalb
weise ich Sie dringendst darauf hin, dass ich es für ein
schlechtes Zeichen halte, dass der Afrikaner zu ihr in Kontakt
getreten ist.“
Wellinger brach der Schweiß
aus. Neuhaus offenbarte ihm eine vollkommen andere Sicht auf den
Fall. Und diese Sicht verursachte ihm Übelkeit.
„ Der Afrikaner fühlt
sich sehr sicher, sonst hätte er die Ärztin nicht
angesprochen. Wenn wir davon ausgehen, dass er unser Mann ist, dann
wissen Sie auch, was er mit ihrem Bruder angestellt hat. Mit der
Kontaktaufnahme hat er nicht nur eine weitere Grenze überschritten,
sondern er ist auch ein hohes Risiko eingegangen. Das zeigt, wie
gefährlich er tatsächlich ist. Vermutlich hat er nichts
mehr zu verlieren. Denken Sie außerdem daran, dass Frau Stein
weiß ist. Es wird zu ihr keine emotionale Verbindung aufbauen.
Sollte es zu einem weiteren Zusammentreffen kommen, könnte dies
schlimme Folgen haben.“
Hastig griff Wellinger zum
Telefon. In wenigen Minuten hatte er den Personenschutz für
Franziska in die Wege geleitet.
Neuhaus erhob sich. „Sie
sind nahe dran, den Fall aufzuklären und wiederum meilenweit
davon entfernt.“
„ Wie meinen Sie das?“,
fragte Wellinger irritiert.
„ Die Mosaiksteine fügen
sich ineinander und trotzdem haben wir eines übersehen. Es gibt
eine entscheidende Lücke. Erst, wenn wir dieses Steinchen
finden, können wir das Bild zusammen setzen. Ich mach mich mal
wieder an die Arbeit.“
Ohne Weiteres war Neuhaus in
seiner Erklärung vom Sie zum Wir übergangen. Wellinger war froh darüber. Er stand ebenfalls
auf und reichte Neuhaus die Hand. „Danke, dass Sie sich nicht
haben abschrecken lassen und den Weg noch einmal zu mir gefunden
haben.“
„ Na, bei der entzückenden
Anwärterin, die Sie da draußen haben, ist das purer
Eigennutz“, grinste Neuhaus.
Wellinger ignorierte die
Anspielung. „Vielleicht hätte ich Sie eher ernst genommen,
wenn Sie darauf verzichten würden, wie ein amerikanischer
Serienpolizist durch die Gegend zu marschieren. Sie bedienen damit
ein Klischee, das Ihnen keine Vorteile bringt.“
„ Wie soll ich das
verstehen?“ Neuhaus baute sich breitbeinig vor ihm auf.
„ Na ja, schauen Sie sich
an. Sie kleiden sich, als wollten Sie in der nächsten Minute das
Sportabzeichen machen. Gegen sportliche Kleidung habe ich persönlich
nichts einzuwenden, aber die Baseballkappe ist dann wohl doch etwas
übertrieben, meinen Sie nicht auch?“
Neuhaus sah ihn eine Weile an,
dann nahm er langsam die Kappe vom Kopf. „So besser?“
Erstaunt betrachtete Wellinger
den kahlen Schädel, dessen
Haut von der Sonne verbrannt war.
„ Autsch!“, zischte
er. „Vielleicht sollten Sie Ihr Haar nicht ganz so kurz
tragen.“
„ Vermutlich haben Sie
recht. Ich werde Ihren Rat den Ärzten mitteilen, wenn die mir
das nächste Mal eine Chemotherapie verpassen.“ Mit einem
Pfeifen auf den Lippen verließ Neuhaus das Büro.
Kapitel 20
Unzählige Trauergäste
fanden sich auf dem Kölner Friedhof zu Melaten ein, um Mike
Stein die letzte Ehre zu erweisen.
Der Zentralfriedhof, der
unmittelbar an die Kölner Innenstadt grenzte, erstreckte sich
auf einer Fläche von über 435 000 Quadratmetern. Das
riesige Areal war nicht nur letzte Ruhestätte, sondern diente
den Kölnern auch als Rückzugsort für besinnliche
Spaziergänge. Unter den ausladenden Ästen von uralten
Linden, Ahorn, Platanen und Birken, konnte man den Großstadtlärm
hinter sich lassen.
Kunstinteressierte und Historiker
trafen sich zum regelmäßigen Stelldichein, um die
prachtvollen Grabstätten, die vor allem an den Hauptwegen und
der Ost-West-Achse zu finden waren, zu bestaunen. Die zum Teil
monumentalen Grabmäler wirkten auf Wellinger jedoch in ihrer
Protzigkeit unverhältnismäßig, beinahe grotesk und
hinterließen mit ihrer makabren Schönheit einen schalen
Beigeschmack. Selbst noch im Sterben versuchten die Menschen, sich
gegenseitig zu übertrumpfen. Dabei ließ sich der Tod nicht
bestechen und stellte jeden, egal ob jung oder alt, arm oder reich,
Mann oder Frau auf die gleiche Stufe.
Wellinger trat näher an
Franziska heran und legte einen Arm um ihre Schulter. Ihr Gesicht
verschwand hinter einer riesigen Sonnenbrille. Lennart, der zu seiner
linken stand, schielte zu ihm herüber. Das Unwohlsein war ihm
deutlich ins Gesicht geschrieben. Um so mehr war er stolz auf seinen
Jungen, dass er Franziska auf diesem schweren
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