Die dunkle Seite der Dinge
seinem Schlafzimmer auf dem Bett gesessen und
auf seinen Einsatz gewartet. Das Zuspätkommen ist minutiös
von ihm geplant. So kann er sich sicher sein, die Aufmerksamkeit
aller zu bekommen.“
Franziska unterdrückte ein
mädchenhaftes Kichern und war über sich selbst verwundert.
Sie hätte nicht gedacht, nach Mikes Beerdigung zu einer solch
heiteren Reaktion fähig zu sein. Auch Esther grinste.
Franziska beruhigte sich wieder.
„Wieso weißt du das so genau? Wohnst du denn auch hier?“
„ Ja“, nickte Esther.
„Du wirst es nicht glauben, aber ich bin wieder in mein altes
Mädchenzimmer gezogen. Ich bin weder verheiratet, noch habe ich
Kinder und die Hälfte des Jahres bin ich ohnehin in Afrika. Das
Anwesen befindet sich seit Generationen in Familienbesitz. Da lag es
nahe, die Zelte wieder hier aufzuschlagen.“
Unter dem erneuten Beifall der
Gäste wurde nun der Hauptgang aufgetragen. Stille senkte sich
über die Gesellschaft und eine Zeitlang vernahm man nichts
weiter, als das Klappern der Gabel und Messer auf dem edlen
Porzellan. Die Speisen waren exquisit und unweigerlich stellte
Franziska sich die Frage, wie dies mit dem humanitären Gedanken
zusammenging. War es nicht pervers durch die Völlerei weniger
Spendengelder für die hungernde Masse zu organisieren? Plötzlich
schmeckte das Essen fad und sie legte das Besteck zur Seite. Sie ließ
ihren Blick schweifen und wurde sofort von den wachen Augen ihres
Gastgebers gefangen genommen. Selbst auf die Entfernung hin konnte
sie erkennen, dass seine Augen von einem kühlen Grau waren.
Grünwald prostete ihr zu. Nach anfänglichem Zögern,
hielt sie ihr Wasserglas in die Höhe und nahm einen Schluck. Sie
konnte nicht anders, aber dem Professor fehlte all das, was seine
Schwester sympathisch machte. „Er liegt auf der Lauer wie ein
Wolf“, schoss es Franziska durch den Kopf und ganz gegen ihre
Gewohnheit, hielt sie dem eindringlichen Blick nicht stand. Erst nach
einer Weile wagte sie es, erneut in Grünwalds Richtung zu
schauen, aber er schien sie bereits wieder vergessen zu habe.
Angeregt unterhielt er sich mit einer schwarzhaarigen Schönheit,
die hingebungsvoll an seinen Lippen hing. Sie atmete erleichtert auf
und wandte sich wieder Esther zu, die jedoch in ein Gespräch mit
ihrem Tischnachbar vertieft war und Ferdinand hatte alle Hände
damit zu tun, seine Frau zu besänftigen, die schmollend ihre
Lippen vorschob. Franziska lehnte sich zurück. Durch die hohen
Fenster blickte sie in den beleuchteten Garten, dessen uralte Bäume
majestätisch in den Abendhimmel ragten. Durch das dichte Laub
schimmerte ein heller Fleck.
Die Erkenntnis traf sie
erbarmungslos.
„ Entschuldigt mich“,
stieß sie hervor. Rasch erhob sie sich und verschwand durch die
große Flügeltür.
Die grauen Augen des Professors
folgten ihr.
Betty wuchtete den schweren
Reisekoffer auf das Bett. Die Rückkehr aus Afrika versetzte sie
in eine melancholische Stimmung. Wieso war ausgerechnet der
sympathische Arzt Jan Siebers ermordet worden?
„ Kommst du zum Essen? Wir
haben kiloweise Spaghetti gekocht! Mit echter Tomatensoße!
Außerdem wollen wir auf dich und deine Rückkehr anstoßen.“
Strahlend tauchten ihre Mitbewohnerinnen auf und hielten ihr eine
Flasche Sekt unter die Nase.
„ Natürlich, ich bin
gleich bei euch!“
Die Mädchen stürmten
zurück in die Wohnküche. Kurz darauf vernahm Betty einen
lauten Knall, gefolgt von einem albernen Kichern, als der Sektkorken
gegen die Decke schoss. Ihre Freundinnen verstanden sich prima
darauf, sie aus den trüben Gedanken zu reißen. „Ich
packe nur noch schnell aus!“, rief sie ihnen zu.
„ Das kannst du auch später
machen. Komm jetzt! Die Spaghetti werden kalt – und der Sekt
warm!“
„ Ja, ist schon gut. Ich
beeile mich auch.“ Betty öffnete ihren Koffer und zerrte
den großen Wäschebeutel hervor. Ihre Freundinnen würden
Augen machen, wenn sie ihnen die Fotos zeigte und von Afrika
erzählte. Etwas Dunkles klatschte auf den Boden. Irritiert
betrachtete sie den kleinen, schwarzen Gegenstand, der aus ihrem
Wäschesack herausgefallen war. Das war doch Jans Tagebuch. Er
hatte es immer bei sich getragen, bis zu dem Tag, an dem man ihn
ermordet hatte. Betty erinnerte sich, wie sie befragt worden war, ob
sie etwas über den Verbleib des Buches sagen könnte. Je
länger es verschwunden blieb, umso aggressiver war der Ton
geworden. Irgendwann hatte sich das unangenehme Gefühl in Angst
verwandelt und erleichtert hatte sie
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