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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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auf die neue Haftungsklausel aufmerksam machte, regte sich sein alter Widerspruchsgeist.
    »Diese Klausel unterschreibe ich nicht«, ließ er die Runde wissen. »Wie kommt die da rein?«
    Die Frage war an Blank gerichtet. »Sie gehört zum Standard amerikanischer Fusionsverträge.«
    »Wir sind hier nicht in Amerika.«
    »Die Klausel dient nur der Internationalisierung der Vertragsstandards. Das Haftungslimit ist mit zwanzig Millionen ohnehin so hoch angesetzt, daß sie nur symbolischen Wert hat. Aber wenn alle einverstanden sind, können wir den Paragraphen streichen.« Blank schaute in die Runde.
    Nauer hatte einen Einwand: »Wenn sie von Anfang an gefehlt hätte, hätte ich nichts dagegen. Aber so werden mich meine Verwaltungsräte fragen, weshalb die Klausel gestrichen ist. Und was antworte ich denen, Herr Dr. Fluri?«
    »Weil sie nachträglich dazugekommen ist.«
    »Und wie erkläre ich, daß die vielen Punkte, die Sie nachträglich hinzugefügt haben, nicht gestrichen sind?«
    »Ach, Sie haben die Klausel gewünscht?«
    »Nein«, erklärte Blank, »sie stammt von mir. Mein Mitarbeiter hat sie versehentlich aus dem Standardvertrag übernommen, und ich habe sie drin gelassen. Ich ging, ehrlich gesagt, davon aus, daß ein Risiko von zwanzig Millionen kein Thema sein würde.«
    Das erste Mal während dieser Sitzung wurde Fluri laut. »Das ist es natürlich nicht.«
    »Wenn die Klausel gestrichen ist, sieht es aber so aus«, wandte Nauer ein. Alle Anwesenden nickten. Sogar Dr. Fluris Anwalt.
    Fluri zögerte einen Moment. Dann brummte er: »Weiter!« Von da an schwieg er. Nur bei der ersten seiner vierundsechzig Unterschriften unter die Verträge und Zusatzverträge in allen Ausfertigungen stieß er einen Seufzer aus.
    Blank hatte zwei Flaschen Champagner kalt stellen lassen, die er jetzt bringen ließ. Die Runde stieß an und trank auf die Zukunft von CHARADE-ELEGANTSA .
    Dr. Fluris Glas war noch fast voll, als die Sitzungsteilnehmer sich voneinander verabschiedeten. Blank schaute dem alten Mann im graubraunen Dreiteiler nach. Er schien müde. Alles Rechthaberische und Arrogante war von ihm gewichen. Als er, ohne sich noch einmal umzuschauen, umständlich in den Fond des Taxis kletterte, tat er Blank fast ein wenig leid.
    Trotz des Wetters blieb Blank seinem Vorsatz treu, auch diesmal zu Fuß zur Tramstation zu gehen. Er hatte die reinigende Wirkung des Waldspaziergangs vom letzten Mal in guter Erinnerung.
    Der Regen hatte sich jetzt in schwere Schneeflocken verwandelt. Sie schmolzen, kaum daß sie das nasse Laub berührten. Blank trug einen Reitmantel, eine Schildmütze und grobe Halbschuhe mit Profilsohlen, die er sich vor Jahren machen ließ und noch nie getragen hatte.
    Er schritt durch die Stämme der kahlen Buchen. Nichts war zu hören als das gelegentliche Schmatzen seiner Sohlen, wenn er in eine matschige Stelle trat. Die Flocken fielen immer dichter. Es schien ihm, als wirbelten sie da und dort schon etwas durcheinander. Wie richtige Schneeflocken.
    Der Weg stieg leicht an. Blank ging weiter, ohne das Tempo zu verlangsamen. Auf der Kuppe war er etwas außer Atem. Der Wind trieb ihm die Flocken in die Augen.
    Er blieb stehen und blinzelte. Als er wieder klar sehen konnte, erschrak er. Nur ein paar Meter vor ihm stand ein Fuchs auf dem Weg. Einen Moment verharrten beide reglos und starrten einander in die Augen. Dann wandte sich der Fuchs ab und trottete davon, ohne besondere Eile.
    Beim Wegweiser entschied er sich für den direkten Weg, »Tramstation Buchenfeld 15 Min.«.
    Evelyne Vogt kam früh nach Hause. Sie spürte die ersten Anzeichen einer Erkältung und hatte im Laden den ganzen Tag über gefröstelt.
    In der kleinen Garderobe neben dem Eingang fiel ihr Urs’ nasser Reitmantel auf. Neben dem Schuhschrank standen seine schmutzigen Schuhe. »Urs?« rief sie, als sie in die Halle trat. Sie erhielt keine Antwort. In seinem Zimmer hing der Anzug, den er heute getragen hatte, am stummen Diener. Es sah aus, als hätte er sich umgezogen und sei wieder gegangen. Daß sie den Abend nicht gemeinsam verbrachten, kam oft vor. Bisher hatte er sie immer vorher angerufen oder ihr eine Nachricht hinterlassen. Aber der Notizblock beim Telefon war leer.
    Evelyne war enttäuscht. Sie hatte heute keine Lust, allein zu sein. Sie aß ein Joghurt, machte sich einen Grog, schluckte zwei Aspirin und legte sich in Urs’ Bett.
    Ott erfuhr von der Vertragsunterzeichnung auf dem Flug nach London. Das traf sich gut, denn er

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