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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ist LSD ?«
    Lucille lachte. »Wie ein Joint, der aufmacht statt zu.«
    Blank suchte sich sechs Pilze aus. Drei mittlere, zwei kleine. Unter einem der mittleren kam noch ein winziges Pilzlein zum Vorschein. Den nahm er als sechsten. Lucille hatte ihn beobachtet. »Feigling.«
    Sie nahm vier mittelgroße und stopfte sie in den Mund. Sie begannen zu kauen.
    Das Zeug schmeckte wie alte Socken. Zuerst wie trockene, dann wie nasse. Auch die Konsistenz war ähnlich. Nachdem er eine Weile gekaut hatte, verstand Blank, weshalb Shiva daraus eine Mutprobe gemacht hatte. Je breiiger die Masse wurde, desto mehr Bitterstoffe lösten sich.
    Lucille stieß ihn an. Sie hatte das Gesicht verzogen und begonnen, mit den Fingern bis zehn zu zählen. Blank zählte mit. Bei zehn griffen sie zu ihrer Vitaminlimonade und spülten den Brei runter. »Pfui Teufel«, sagte Blank.
    Die erste Wirkung, die Blank spürte, war, daß ihm das Trommeln nicht mehr auf die Nerven ging. Benny hatte auf kleinen Bongos zu spielen begonnen. Blank wäre am liebsten aufgestanden und gegangen. Aber jetzt, nach einer Viertelstunde, störte es ihn nicht mehr. Um ehrlich zu sein: Es fing an ihm zu gefallen. Auch als Lucille und ein paar andere im Tipi mit Rasseln, Rumbakugeln, Tamburinen und anderen Schlaginstrumenten einfielen, ging das in Ordnung.
    Die nächste Wirkung, die er verspürte, war, daß er selbst spielte. Er hatte plötzlich eine Schellentrommel in der Hand und begleitete die jam session mit wachsendem Selbstbewußtsein.
    Auf einmal merkte er, daß er es war, der den Takt angab. Alle hörten auf seine Zeichen, verdoppelten, wenn er verdoppelte, schleppten, wenn er schleppte. Er gab die Einsätze, korrigierte, pfiff zurück. Er war die natürliche, von allen anerkannte Autorität geworden.
    Er, Urs Blank, der sehr mittelmäßige Tänzer, der unbegabte Klavierschüler, der falsche Sänger, war plötzlich der fleischgewordene Rhythmus geworden. Mit einem Mal verstand er die Musik – alle Musik – in ihrem innersten Wesen. Er spürte die Klänge des Universums, bündelte und fächerte sie zum endgültigen Opus, nach dessen Uraufführung keine Musik mehr möglich sein würde.
    Joe hatte schon so oft Pilze genommen, daß es ihm jedes Mal schwerer fiel, auf den Trip zu kommen. Nur dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung mit halluzinogenen Drogen gelang es ihm immer wieder, sich mit ein paar Tricks und Triperinnerungen auf die Umlaufbahn zu katapultieren. Aber die Harmonie mußte stimmen. Und diesmal stimmte sie nicht.
    Der Anwalt, den Lucille, warum auch immer, mitgebracht hatte, riß alles an sich. Bei seiner Ankunft war er ihm höflich und zurückhaltend erschienen. Fast schüchtern. Der einzige, der mit einem Frotteetuch vor dem Bauch in die Schwitzhütte kam.
    Aber keine zehn Minuten, nachdem er die Pilze geschluckt hatte, fing er an, den Zirkel zu tyrannisieren. Er nahm sich eine Schellentrommel, fing sofort an der Gruppe seinen Rhythmus aufzuzwingen und herrschte alle an, die sich nicht fügten. Joe konnte sich nicht konzentrieren. Immer, wenn er einen Zipfel des fliegenden Teppichs erwischt hatte, wurde er von den schlechten vibes des Mannes wieder auf den Boden zurückgeholt.
    Lucille konnte nicht mehr vor Lachen. Urs war völlig verwandelt. Was der mit seiner Schellentrommel aufführte! Sie hatte nicht gewußt, daß ein Mensch so wenig Rhythmus besitzen konnte. Er hüpfte im Tipi umher und traf keinen einzigen Takt. Aber er hielt sich offenbar für ein Rhythmusgenie. Er korrigierte die anderen, die nicht gleich falsch trommelten wie er. Er hielt ihnen seine Schellentrommel vor die Nase und klopfte, bis auch sie aus dem Takt gefallen waren.
    Der Bauch tat ihr weh vor Lachen.
    Edwin spürte rein gar nichts. Im Gegensatz zu Pia, die immer auf seine Glatze zeigte und kicherte: »Spitzkegeliger Kahlkopf.« So hießen die psychedelischen Pilze, die sie genommen hatten. Sehr komisch. Aber er spürte nichts. Außer einer wachsenden Gereiztheit über Pias Getue. Und einen ziemlichen Haß auf den Anwalt mit seinem Trommelterror.
    Der Name Urs Blank war ihm nicht unbekannt. Er hatte die Finger mit im Spiel gehabt bei der Fusion seiner Bank, die ihm in einem Jahr die vorzeitige Pensionierung einbringen würde. Er hatte sich nichts anmerken lassen und versucht, Blank wie allen anderen Teilnehmern des Rituals vorurteilsfrei gegenüberzutreten. Am Anfang hatte das funktioniert. Der Mann war ihm ganz normal und freundlich erschienen. Edwin hatte sich gesagt, der

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