Die dunkle Seite des Mondes
Halluzinationen und Realitäten der letzten Wochen und Monate. Ein Thema verband sie alle: der Wald.
Gegen Mittag des vierten Tages, dem ersten ohne Fieber, hielt er es im Bett nicht mehr aus. Er verließ das Hotel, überquerte die sonnenbeschienene Straße und betrat den Stadtwald. Er brauchte seine Stille und seine Kühle.
Aber der Wald war voller Rufen, Lachen, Schreien und Schwatzen. Überall roch es nach Grillwürsten und Holzkohle. Es herrschte ein Lärm wie auf einem Rummelplatz. Es mußte Sonntag sein.
Blank kehrte um und ging zurück in sein Appartement. Er vertiefte sich in seine Bücher, als ob sie ihm den wirklichen Wald ersetzen könnten.
Sobald er wieder ganz bei Kräften war, wollte er eine weitere Nacht im Wald verbringen. Aber diesmal würde er sich nicht wie ein Anfänger verhalten.
Auf seiner Suche nach Literatur über das Überleben in der Wildnis stieß er auf eine ihm neue Welt: Die Welt des Survival.
Blank kaufte alles, was ihm die Bücher empfahlen und die bärtigen Verkäufer in den Survival Shops aufschwatzten. Nach ein paar Tagen war er ausgerüstet wie eine Einmann-Expedition zu jedem erdenklichen Ziel auf dem Globus.
Nach seiner Genesung tauchte Blank bei der Partnersitzung auf. Es war das erste Mal seit langem. Als er, mit etwas Verspätung, das Sitzungszimmer betrat, verstummten die Partner. Geiger hatte ein Papier vor sich, das er jetzt wie beiläufig mit der Schrift nach unten auf den Tisch legte.
»Wenn ich störe, gehe ich wieder«, bemerkte Blank. Es klang wohl etwas beleidigt.
»Setz dich, du störst nicht«, versicherte von Berg. »Im Gegenteil, wir freuen uns, daß du uns die Ehre gibst.«
Aber es wurde Blank rasch klar, daß seine Partner Geheimnisse vor ihm hatten. Es gab Themen, die sie ganz mieden, und solche, die sie nur streiften. Immer wieder schweiften sie ab zu Anekdoten und Belanglosigkeiten.
Es klopfte, und Christoph Gerber betrat den Raum mit einem Arm voller Unterlagen. Als er Blank sah, erschrak er.
»Ja, Christoph?« fragte Dr. Geiger. Blank registrierte, daß er ihn beim Vornamen nannte.
Gerber stand verlegen in der Tür. Blank kam ihm zu Hilfe. »Ihr entschuldigt mich, ich habe einen Termin vergessen.« Er stand auf. Gerber machte ihm Platz. Blank warf im Vorbeigehen einen Blick auf den Verteiler auf den Unterlagen. Sein Name fehlte. Dafür stand unter den Namen seiner Partner der von Christoph Gerber. Und der von Pius Ott.
Ein Detail, das Blank kaltließ.
Auf dem Weg zum Essen mit Alfred Wenger ging er an Lucilles Stand vorbei. Noch immer wurde sie von Arshad, dem jungen Mann mit der blonden Lockenfülle vertreten. Er hatte nichts von ihr gehört und wußte nicht, wann sie zurückkommen würde.
Das hingegen war ein Detail, das Blank nicht kaltließ.
Es war ein Samstag für Straßenmusiker: wolkenloser Himmel, vollbesetzte Straßencafés und die Fußgängerzone voller gutgelaunter Menschen mit Kleingeld in den Taschen.
Rolf Blaser brauchte nicht lange, um Benny Mettler zu finden. Er stand neben dem Eingang eines Warenhauses und sang Balladen, die er auf einer abgewetzten Gitarre begleitete. Vor der Brust trug er einen Halter für eine Mundharmonika, auf der er manchmal ein paar Takte spielte. Ein paar Leute standen um ihn herum. Ab und zu warf jemand eine Münze in den offenen Gitarrenkasten.
Rolf Blaser stand etwas abseits an ein Verkehrsschild gelehnt. Im Gitarrenkasten lag sein Fünffrankenstück, um das er einen kleinen Zettel mit einer Notiz gewickelt hatte. Er sah Mettler an, daß er neugierig war.
Nach drei Stücken überließ er seinen Platz einem armenischen Handharmonikaspieler und machte Kassensturz. Blaser beobachtete, wie er die Münze aus der Notiz wickelte und fragend zu ihm herübersah. Blaser nickte und ging auf ihn zu.
»Was für Fragen?« wollte Mettler wissen.
»Haben Sie Zeit für ein Bier?« Ein paar Schritte weiter hatte eine Wirtschaft ein paar Tische aufs Trottoir gestellt.
»Nur solange er hier spielt. Danach bin ich wieder an der Reihe.«
»Länger dauert es nicht.« Sie setzten sich an einen grün gestrichenen Gartentisch.
»Fragen Sie«, sagte Mettler, als das Bier gekommen war.
»Kannten Sie Joe Gasser?«
»Sind Sie Polizist?«
Blaser nickte. »Aber außer Dienst.«
Mettler faßte in seine Tasche, brachte eine Handvoll Münzen zum Vorschein, zählte den Preis seines Biers auf den Tisch und stand auf.
»Erst müssen Sie meine Frage beantworten.«
»Muß ich das? Ich dachte, Sie sind außer
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