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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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er mir berichtete, waren deine letzten Worte an ihn ›Verschwinde, wenn dir dein Leben lieb ist, du Arschkriecher!‹.«
    Zweimal die Woche traf er sich mit Alfred Wenger. Einmal, wie früher, als Freund im Goldenen, einmal als Patient in der Praxis. Ansonsten lebte er wie ein Sonderling.
    Jeden Morgen stand er mit der ersten Morgendämmerung auf. Wenn es die Arbeit zuließ – und das wußte er meistens so einzurichten –, stieg er in seinen Range Rover und fuhr in einen Wald der Umgebung. Oft kam er mit Pilzen, Waldgemüsen und Wildsalaten zurück, die er sich in seiner Kochnische zubereitete. Immer hatte er Pflanzen und Insekten dabei, die er manchmal bis tief in die Nacht hinein bestimmte.
    An Tagen, an denen seine Anwesenheit in der Kanzlei unabdingbar war, ging er vor der Arbeit drei Stunden in den Stadtwald. Immer wieder kam es vor, daß er in schweren Wanderschuhen ins Büro kam. Und in Kordhosen, deren Aufschläge Spuren von getrockneter Walderde aufwiesen.
    Evelyne Vogt hatte einen ihm persönlich nicht bekannten Anwalt damit betraut, die materielle Seite ihrer Trennung zu regeln. Blank fand manchmal, daß die beiden etwas weit gingen in ihren Forderungen. Aber es war ihm egal.
    Lucille beschäftigte ihn noch ab und zu. Er hatte vom Eschengut aus einmal bei ihr angerufen. Pat hatte sich gemeldet und ausgerichtet, Lucille habe keine Lust, mit ihm zu sprechen. »Kann sie mir das auch persönlich mitteilen?« hatte er gefragt. Er hatte gehört, wie die Sprechmuschel zugehalten wurde. Dann Lucilles Stimme. »Ja, ich kann dir das auch persönlich sagen«, hatte sie gesagt. Und aufgelegt.
    Am zweiten Mittwoch nach seiner Rückkehr vom Eschengut richtete er es so ein, daß er um die Mittagszeit durch den kleinen Park mit dem Flohmarkt schlenderte. Es war Mitte Juni, ein bewölkter, aber warmer Tag. Der Flohmarkt war gut besucht, an den Imbißständen herrschte Hochbetrieb.
    Zuerst dachte er, Lucille hätte die Haare gefärbt, als er die schmale Gestalt mit dem blonden Schopf von weitem an ihrem Stand sah. Aber als er näher kam, drehte sie sich um. Es war ein junger Mann. Er war wie Lucille gekleidet: Aus Versatzstücken asiatischer Trachten und behangen mit den Seidentüchern, die sie verkaufte.
    »Wo ist Lucille?« fragte Blank ohne ein Wort der Begrüßung.
    »Auf Einkauf.«
    »Wo?«
    »Indonesien.«
    »Wann kommt sie zurück?«
    Der junge Mann zuckte die Schultern. »Alles, was ich weiß, ist, daß ich sie noch höchstens vier Mittwoche vertreten kann.«
    »Verstehe«, murmelte Blank und ging weiter.
    »Hast du gewußt, daß Lucille in Indonesien ist?« fragte er Wenger später im Goldenen.
    »Sie hatte es erwähnt.«
    »Und weshalb hast du mir nichts davon gesagt?«
    »Ich wußte nicht, daß es dich noch interessiert.«
    Blank stocherte ohne Appetit in seinem Salatteller. Seit er seine eigenen Waldmenüs kochte, schmeckte ihm das Essen in Restaurants nicht mehr. »Eine seltsame Zeit, um auf Einkaufstour zu gehen, jetzt, wo der Flohmarkt von Kunden wimmelt.«
    »Es erleichtert ihr die Trennung.«
    »Hat sie das gesagt?«
    »Ja.«
    Die Information, daß ihr die Trennung von ihm nicht leichtfiel, trug nicht dazu bei, Lucille zu vergessen.
    Zwischen Pius Ott und Dr. Geiger war eine Art Freundschaft entstanden. Sie trafen sich regelmäßig, meistens in der Lobby des Imperial, und duzten sich seit ein paar Tagen. Die Initiative dazu war von Ott, dem Mandanten gekommen. Der Umfang seines Auftragsvolumens berechtigte ihn zu mehr als einer nur geschäftsmäßigen Beziehung.
    Vor allem das Mandat UNIVERSAL TEXTILE , das die Integration der CHARADE -Gruppe in das internationale Textilunternehmen zum Ziel hatte, eröffnete Geiger, von Berg, Minder & Blank den Zugang zu einer Branche, in der die Kanzlei schon lange gerne Fuß gefaßt hätte.
    Ott wußte aus einer seiner Quellen, daß Geiger dazu neigte, anstrengende Arbeitstage in Nachtclubs zu beenden und dabei mehr zu trinken, als ihm bekam. Er selbst hatte zwar nichts für Nachtlokale übrig, aber er wußte ihre Wirkung auf Geschäftspartner zu schätzen. Sie brachten sie dazu, mehr von sich preiszugeben, als ihnen am nächsten Tag lieb sein würde.
    Nach einem gemeinsamen Abendessen wußte er es einzurichten, daß sie im Belle de Nuit landeten. Geiger hatte den größten Teil der drei Flaschen Bordeaux getrunken, hatte den Abend mit zwei Bier abgerundet und war jetzt zum Whisky übergegangen. Mitten in einem Striptease mit viel Rüschen und Spitzen murmelte

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