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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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hatte er nie mehr einen solchen Gegner gehabt.
    Am nächsten Tag stürzte Fritz Fenner mit seinem Motorrad. Es war kein schlimmer Sturz, aber ein peinlicher. Benziker trieb seine Kühe durchs Dorf und hielt den Verkehr auf. Der Verkehr bestand aus Fenner auf seinem Motorrad und dem Toyota der Schwester von Widmer mit ihren zwei bald erwachsenen Töchtern, die aus der Stadt zu Besuch kamen. Vor der Molkerei schwatzten ein paar Bauern, die ihre Milch gebracht hatten. Weiter oben, auf der anderen Seite der Kuhherde, warteten Widmers vor dem Haus auf ihren Besuch.
    Sobald die Straße frei war, gab Fenner Gas und überholte den Toyota. In den frischen Kuhfladen drehte das Rad durch. Das Motorrad rutschte unter ihm weg, und Fenner landete vor dem Toyota im Kuhdreck. Die Bauern vor der Molkerei, Widmers Schwester und die Töchter, Benziker und seine Frau, die Familie Widmer, alle hatten es gesehen. Und die, die es nicht gesehen hatten, lachten mit.
    Fenner rappelte sich hoch, richtete das Motorrad auf und versuchte es anzukicken. Fünf Versuche brauchte er, bis der Motor ansprang. Als er endlich losbrauste, hörte er sie klatschen.
    Ihr werdet euch noch wundern, dachte er.
    Die Stelle, an der nach Blanks Erinnerung Eiben wuchsen, lag ziemlich hoch an einem schattigen, steilen Hang. Der Weg dahin war beschwerlich und nicht ungefährlich. Es war weniger die Absturzgefahr als die Gefahr, gesehen zu werden, die ihm Sorgen machte. Er mußte zwei Weiden überqueren, die nicht zu umgehen waren und auf denen um diese Jahreszeit wieder Rinder weideten. Wo Vieh war, waren Menschen und Hunde nicht weit.
    Die erste Weide war kein Problem. Er beobachtete, wie der Hirte mit einem Kleintraktor talwärts fuhr. Aber die zweite machte ihm zu schaffen.
    Die Bauernfamilie hatte Besuch aus der Stadt, eine Frau mit ihren zwei jungen Töchtern. Obwohl der Himmel bedeckt war und die Wiese noch feucht vom Regen, hatte man sich den Tag für ein Picknick ausgesucht und schien zum Durchhalten entschlossen, komme, was da wolle.
    Blank blieb keine andere Wahl, als zu warten. Sobald die Luft rein war, wollte er die Weide überqueren und den letzten Teil des Aufstiegs zu den Eiben hinter sich bringen.
    Er beobachtete, wie die Erwachsenen immer lauter und die Jugend immer gelangweilter wurden. Aber die Erwachsenen hielten durch bis kurz vor fünf. Dann machten sie sich zu Fuß auf den Heimweg. Blank konnte sie noch hören, als er die Eiben schon beinahe erreicht hatte.
    Er fand kein Samthäubchen. Aber wenigstens einen Felsvorsprung, auf dem er sich ein einigermaßen bequemes Biwak einrichten konnte.
    Meistens streckten Pilze erst am zweiten Tag nach dem Regen ihre Köpfe aus dem Boden. Vielleicht hatte er morgen mehr Glück.
    Von der Weide klangen Kuhglocken herauf. Es dunkelte schnell. Über ihm im Gehölz imitierte ein Eichelhäher andere Vogelstimmen. Ein kühler Wind kam auf. Blank kroch in seinen Schlafsack und schloß den Reißverschluß seines Biwaksacks. Er aß Pumpernickel und Salami, Mitbringsel aus der Stadt, die einmal der Mittelpunkt seiner Welt gewesen war.
    Am nächsten Morgen suchte er die Umgebung der Eiben sorgfältig ab. Es waren über Nacht keine Samthäubchen gewachsen. Im Licht des frischen Herbstmorgens schrieb er es seiner wiederaufkeimenden Selbstüberschätzung zu, daß er im Ernst hatte annehmen können, er würde auf Anhieb einen fast ausgestorbenen Pilz finden.
    Auf der Weide, wo die Familien gepicknickt hatten, war kein Mensch zu sehen. Er überquerte sie unter den neugierigen Blicken der Rinder. Aber als er sich der zweiten näherte, hörte er Stimmen.
    Vom Waldrand aus sah er einen Traktor mit einem Vieh-anhänger. Zwei Männer versuchten, ein Rind aufzuladen. Es sträubte sich und rutschte auf der glitschigen Rampe. Die Männer schoben und zerrten und fluchten. Blank setzte sich und wartete. Keine zwanzig Meter vor ihm am Waldrand stand eine mächtige Fichte. In ihrem Schatten wuchs kein Gras. Der Boden war bedeckt von getrocknetem Kuhmist. Die Rinder hatten dort Schutz vor Sonne und Regen gesucht. Ein guter Platz für Düngerlinge und Mistpilze.
    Mit dem Fernglas suchte Blank die Stelle ab. Am Rand des Unterstandes, dort, wo die Erde in die Grasnarbe überging, sah er eine Versammlung kleiner Pilzhütchen.
    Die beiden Männer hatten das Rind endlich im Anhänger. Sie klappten die Rampe hoch und stiegen auf den Traktor. Sobald sie außer Sichtweite waren, ging Blank zu den Pilzen.
    Keine Samthäubchen, aber immerhin
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