Die dunkle Seite des Ruhms
auch auf Distanz. Ich nehme aber an, daß Sie kaum in der Lage sein werden, den nötigen Preis für alle 36 Fotos aufzubringen. Verteilen wir ihn auf mehrere Jahre. Sagen wir 12 Jahre. Jedes Jahr bekommen Sie drei Negative zurück. Ich habe dadurch eine Rente und Sie die Gewißheit, daß alles ruhig bleibt. Ich bin bescheiden: 1.000 Dollar pro Monat. So billig kann ewiger Frieden sein.«
»Ich lehne ab!« sagte Ballister hart. »Von mir aus bringen Sie die Bilder in die New York Times!«
Er bluffte mit einer wilden Entschlossenheit und hoffte insgeheim, daß der Unbekannte das nicht als letztes Wort ansah und einhängte. Darkster war auch zu sehr verblüfft, um das Gespräch zu beenden. Er hatte alles erwartet, aber das nicht.
»Ist das Ihr Ernst, Jérome?« fragte er.
»Sie hören es!« Ballister atmete auf. Es ging weiter, aber er war zufrieden. Sein Gegner zeigte Wirkung auf diesen Schlag.
»Sie wollen den Skandal?«
»Wir werden ihn überleben. Mrs. Saunders hat Geld genug, um irgendwo in Ruhe zu leben. Gehen Sie mit den Fotos hausieren! Noch etwas?«
»Ja, ich gebe Ihnen Bedenkzeit.«
»Wozu?«
»Es gibt auch eine Fotoserie, ganz frisch. Da hilft nach einem Begräbnis ein Mann seiner Frau in das Auto und streichelt ihr die Wange. Dieses rührende Glück gegenübergestellt dem nackten Ringelreihen auf dem Hotelbalkon in Tripolis gibt ein umwerfendes Kontrast-Programm.«
Ballister gab sich innerlich geschlagen, aber er blieb nach außen hart. Das darf nie an die Öffentlichkeit, dachte er. Das wäre die infamste Art, drei Menschen restlos zu vernichten.
»Wie wollen Sie das Geld überwiesen haben?« fragte er.
Darkster atmete auf. Ballisters Sicherheit hatte ihn gewaltige Nerven gekostet. »Das war endlich ein sehr vernünftiger Satz, Jérome! Ich rufe Sie wieder an. Sie müssen zugeben, daß ich Ihnen gegenüber vor Humanität geradezu stinke.«
»Das stimmt!« sagte Ballister ernst. »Sie sind ein Stinktier!«
Dann legte er auf. Darkster lachte etwas hysterisch, hängte ein und verließ die Telefonzelle von ›Antonettis Taverne‹. Am Tresen trank er noch einen Cuba libre und stieß mit sich selber an. Sein ferneres Leben war gesichert. Für Darkster gab es das Problem des täglichen Arbeitskampfes nicht mehr.
Wer sich bei Camino Cappadozza, kurz CC genannt, die Haare schneiden, den Bart stutzen oder rasieren ließ, gehörte nicht gerade zur feinen Gesellschaft. Dazu lag der Friseursalon, der sich laut Schild über der Tür stolz ›Coiffeur Internationale‹ nannte, zu weit abseits, nämlich im Hafenviertel von Hoboken, und vor allem der Damensalon wurde von den Huren bevölkert, die bei Einbruch der Dunkelheit ins Jagdrevier ausschwärmten und vornehmlich frisch gelandete Seemänner erlegten. Ab und zu kamen auch Touristen in diese dunkle Gegend, um das New York der Kriminalromane kennenzulernen und sich ein wenig zu gruseln, aber das normale Leben gab wenig Anlaß, CC's Friseursalon zu einem Mittelpunkt illustrer Gäste zu machen.
Trotzdem lebte Cappadozza sehr gut, fuhr einen Buick neuesten Modells, kleidete sich mit Anzügen aus teuren Maßateliers und leistete sich eine Geliebte, die – ihrer Qualität entsprechend – in einem sündhaft schönen Leopardenmantel herumlief. Wie CC das mit seinem Friseursalon schaffte, war eine Frage, die niemand laut stellte. In dieser Gegend nahm man alles hin, man munkelte nicht, man besänftigte seine Gedanken mit dem Rat, ruhig weiterzuleben sei besser, als einiges zu wissen, vor allem aber nahm man einen Namen nicht in den Mund, der allgegenwärtig und doch nebulös war und dem man sich klaglos unterordnete.
Ab und zu verschwand Camino Cappadozza für einen Tag oder mehrere, aber nie länger als eine Woche, schien irgendwo eine Menge Geld zu kassieren, denn nach seiner Rückkehr bekam seine Geliebte Gigi ein Schmuckstück mehr, man ging im Waldorf essen oder lud Freunde zu ›Giannis Borente‹ ein, ein sizilianisches Restaurant, in dem man ab und zu auch die Dons der großen Familien von New York treffen konnte. Dann fühlte sich CC wie im siebten Himmel, vor allem, wenn ihm Don Batucci, der als der kommende Pate galt, freundschaftlich zulächelte.
Cappadozza wunderte sich deshalb, als in seinem Friseursalon das Telefon klingelte und eine ihm fremde Stimme sagte: »Wo können wir uns treffen?«
CC hatte gelernt, vorsichtig zu sein. Mißtrauen ist überhaupt die Vorbedingung, in Hoboken alt zu werden. Er grinste deshalb gegen die geflieste Wand und
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