Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
Latein, Englisch und als dritte
Sprache Alt-Griechisch. Die Wurzeln der Schule lassen sich bis ins Mittelalter
zurückverfolgen. Sie ist einige Male umgezogen, sogar bis nach Altdorf, bevor
sie Anfang des 20. Jahrhunderts endgültig in dem Gebäude im Thumenberger Weg
untergekommen ist. Auf dem Dach des Jugendstilaltbaus gibt es noch immer ein
kleines Observatorium. Das Gymnasium ist übrigens eine staatliche Schule.«
Hackenholt hörte, wie Sophie am
anderen Ende der Leitung eine Seite umblätterte. Es beruhigte ihn, dass sie all
das nicht einfach so aus dem Ärmel schüttelte, wie er zunächst angenommen
hatte.
»2007 wurde dann ein Neubau errichtet,
um den Anforderungen an eine Ganztagsschule gerecht zu werden. Im Schulhof
steht ein alter Straßenbahnwagen der VAG ,
der als Schülercafé dient. Das ist alles, was mein schlaues Buch über das
Tucher-Gymnasium hergibt. Von meiner Schwester weiß ich noch, dass es einen
recht guten Ruf genießt. Die Ausstattung ist gut, und die Lehrmethoden sind
zeitgemäß.«
Hackenholt und Wünnenberg
hatten das gesamte Kommissariat für sich. Außer der Schreibkraft, die eifrig
Protokolle tippte, waren alle Kollegen ausgeflogen. Hackenholt machte sich
sofort daran, die Peilung von Jonas’ Handy in die Wege zu leiten. Jedes
Mobiltelefon loggte sich automatisch in den Bereich des ihm am nächsten
gelegenen Funkmasts ein. Im Stadtgebiet konnte man so normalerweise auf wenige
hundert Meter genau bestimmen, wo sich das Handy befand. Galt eine Person als
vermisst, durfte man das Telefon sogar orten, ohne vorher einen richterlichen
Beschluss einzuholen.
Während Hackenholt zunächst den
Antrag für den Handyprovider ausfüllte und dann die Suchmeldung nach Jonas
Petzold ins interne System eingab, lief Wünnenberg wie ein aufgescheuchtes Huhn
durch die Dienststelle.
»Sag mal, Ralph, was tust du da
eigentlich?«
»Ich suche die Kaffeekanne!«,
stieß sein Kollege zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Jemand hat meine
Kaffeekanne geklaut. Ich kann keinen frischen Kaffee kochen!«
»Aber wer sollte dir denn hier
die Kaffeekanne klauen? Das kann doch gar nicht sein!«
»Die Schreibkraft weiß auch
nicht, wo sie ist. Sie sagt, sie hat zuletzt Saskia damit rumlaufen sehen.
Wahrscheinlich hat sie meine Kanne mal wieder zum Blumengießen missbraucht!
Wenn man hier nicht alles wegschließt, dann …«
»Nun mach aber mal halblang,
Ralph! Saskia würde nie und nimmer deine Kaffeekanne verstecken, und für ihre Blumen
hat sie sich inzwischen eine richtige Gießkanne gekauft. Es ist Monate her,
dass sie deine Kaffeekanne benutzt hat. Außerdem ist das nur ein einziges Mal
vorgekommen!« Weil du dich anschließend wie ein Irrer aufgeführt hast, ergänzte
Hackenholt im Stillen. »Vielleicht wollte sie gerade frisches Wasser holen und
hat die Kanne irgendwo stehen lassen, weil sie schnell wegmusste. Ruf sie doch
einfach an und frag sie.«
»Das habe ich ja schon versucht,
aber ihr Handy ist ausgeschaltet!«
»Hast du schon auf der
Damentoilette nachgeschaut?«
Wünnenberg sah seinen Kollegen
ungläubig an, dann machte er auf den Hacken kehrt. Kopfschüttelnd widmete sich
der Hauptkommissar den Telefonnotizen, die während seiner Abwesenheit auf
seinem Schreibtisch gelandet waren. Zum Glück war nichts Wichtiges darunter.
Dann passierten zwei Dinge
gleichzeitig: Von der rechten Seite des Ganges, an dessen Ende sich die
Toiletten befanden, ertönte Wünnenbergs wütendes Gebrüll, während Saskia
Baumanns munteres Geplapper sich von der anderen Seite des Gangs her näherte.
Hackenholt schloss die Augen, um der Szene zu entgehen, die unweigerlich folgen
musste. Wie ein kleines Kind hielt er sich fest die Augen zu. Frei nach dem
Motto: Wenn ich nichts sehe, bin ich auch nicht anwesend und bekomme nichts
mit. Leider bewahrheitete sich in den folgenden Minuten lautstark, wie wenig
dieses Prinzip realitätstauglich war.
Erst als es auf dem Flur wieder
still geworden war, traute sich Stellfeldt zu Hackenholt ins Büro.
»Oh Mann! Ich glaube, wir
sollten Ralph zum Geburtstag sechs Kaffeekannen schenken. Dann hat er für jeden
Tag der Woche eine!« Er schüttelte den Kopf. »So ein Kindergarten!«
Hackenholt musste unwillkürlich
lachen. »Was hat Saskia denn verbrochen?«
»Sie hat beschlossen, heute
Nachmittag einen Eiskaffee zu machen. Und weil wir hier ja über keine Küche und
damit auch über keinen Kühlschrank verfügen, hat sie die frisch gekochte Kanne
Kaffee kurzerhand im
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