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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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durchkommen«, sagte ich heiser.
    »Oh, es lässt sich so einiges bewerkstelligen, wenn man eine Pistole in der Hand hat«, sagte er mit einem leisen Lachen. »Fragen Sie mal Signora Mistrani. Sie hat sich ganz von selbst dort oben festgebunden. Ich musste nichts tun. Dank diesem kleinen silbernen Freund hier in meiner Hand.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Sie sind todkrank. Das Quecksilber wird Sie kriegen. Und wenn das nicht reicht, das Arsen.«
    Ewald lachte dunkel. »Ja, es steht mir bis zu den Ohren. Na und? Das wird mich nicht daran hindern, in der Medizingeschichte unsterblich zu werden.«
    »Die jungen Frauen mussten sterben, weil Sie einem Wahn hinterherlaufen«, rief ich.
    Ewald verzog spöttisch die Mundwinkel. »Gestorben wären sie sowieso. Furchtbar schlimme Fälle von TBC.« Er straffte die Schultern und musterte mich herablassend. »Sie sehen das falsch. Ich wollte die Frauen nicht töten. Ich wollte sie retten. Ich war ihre einzige Chance. Und jede der Frauen hat regelrecht darum gebettelt, dass ich mich ihrer annehme.«
    Ich schluckte schwer, als ich den fiebrigen Glanz in seinen Augen sah. Trotz seines schütteren Haares und der fahlgelben Haut, die ihm ein ungesundes Aussehen verlieh, war noch immer deutlich die Aura zu spüren, die ihn einst umgeben haben musste. Eine natürliche Autorität, ein starker Wille – und nicht zuletzt eine überzeugende Ausstrahlung, die dazu führte, dass ihm die Menschen zu Füßen lagen. Ewald musste ein beeindruckender Mann gewesen sein, faszinierend und tiefgründig. Und er war vollkommen wahnsinnig. Daran bestand kein Zweifel.
    »Forschung hat ihren Preis«, fuhr er jetzt mit samtiger Stimme fort. »Und niemand übersteht mehr als 100 Jahre Umgang mit tuberkuloseverseuchten Patienten und deren Lungen, ohne dabei Schaden zu nehmen.« Sein Gesicht verzog sich zu einem fratzenhaften Lächeln. »Das Quecksilber ist wirklich ärgerlich, oder? Da führe ich seit Jahrzehnten Versuche durch, zuletzt auch an mir selbst, an meiner eigenen Tuberkulose, die vor einigen Jahren wieder ausbrach, um die Wirksamkeit der Injektionsserie 7B zu beweisen – und dann wird mir die chronische Quecksilberbelastung zum Verhängnis.« Er zuckte mit den Schultern und lächelte. »Es ist die Arbeit an den Präparaten. Zu viel Quecksilber an den Fingern, in der Luft, über zu lange Zeit. Pech. Es ist wie mit allem. Die Dosis macht das Gift.«
    »Was genau ist in Injektionsserie 7B enthalten«, fragte ich, während ich einen Schritt auf ihn zumachte. Mein Herz stolperte, doch ich versuchte es zu ignorieren. Ich musste ihn zum Reden bringen. Über diese gnadenlose Besessenheit, die ihn über Leichen hatte gehen lassen.
    Der Doktor musterte mich überrascht. »Interessiert Sie das wirklich?«
    Ich nickte und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. »Ja, das tut es.«
    Ewald rollte mit den Augen. »Sie wissen es doch längst. Es ist einfach. Kaliumarsenit hat nicht funktioniert. Nicht alleine. Die Fowlersche Lösung war ein Trugschluss, aber die kurzfristig regenerierende Wirkung des Arsens wirkt wie ein Katalysator. Wenn man ein entscheidendes Mittel hinzugibt. Das weiße Gold.«
    »Die Lilien also«, sagte ich.
    Ewald nickte. »Ja. Die Lilien. Das Ganze hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. Es sind nur noch wenige im Keller. Und alle Versuche, die alte Art zurückzukreuzen, sind fehlgeschlagen.«
    »Sind die drei Frauen deshalb gestorben?«, fragte ich leise.
    Ewald schüttelte ungeduldig den Kopf. »Nein, Sie Narr. Nicht deshalb. Trotzdem. Die Lilienkreuzungen waren ein Versuch, sie zu retten, das sagte ich doch bereits. Aber Forschung ist nicht immer schnell genug.«
    Ich spürte, wie eine maßlose Wut in mir hochloderte. »Soll das heißen, Sie hätten den Frauen einen Gefallen getan?«, rief ich entsetzt. »Sie haben sie umgebracht, verdammt! Das waren Menschenversuche!«
    Er musterte mich mitleidig. »Wie ich sehe, kommen wir beide nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Aber wissen Sie was? Das ist auch vollkommen egal. Denn Sie und Ihre reizende Freundin werden diese Begegnung nicht überleben. Ich aber sehr wohl. Und ich werde weitermachen, solange es möglich ist.« Er entsicherte die Pistole. »Zeit, die Dinge zu regeln.«
    Ich hörte Mirella aufkeuchen.
    »Noch etwas«, stieß ich hervor. »Was genau ist mit Clara passiert? Woran ist sie gestorben?«
    Ein schmerzliches Zucken glitt über das Gesicht des Doktors. Mit einem Mal wirkte er bleich und müde. Er ließ die Waffe sinken

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