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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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spazieren ge-«
    Wortlos hastete ich nach draußen.
    Ich kam zu spät. Ewald war geflüchtet und hatte Mirella mitgenommen. Wie auch immer er das angestellt hatte.
    Ich rannte weiter, die Treppen hinunter, wobei ich immer zwei Stufen auf einmal nahm. Denken, Jakob, du musst denken.
    Was würde Ewald jetzt tun? Was war logisch? Was war ihm wichtig?
    Ich verlangsamte meine Schritte und blieb schließlich stehen.
    Ich wusste viel über ihn. Ich wusste, dass es kaum etwas Wichtigeres für ihn gegeben hatte als seine Tuberkuloseforschung. Und – Clara.
    Er würde sich irgendwo verschanzen. Aber nicht, bevor er sie bei sich hatte. Clara war der Schlüssel.
    Ich zückte mein Handy und wählte Hades Nummer in der Pathologie. Während ich aus dem Krankenhaus stürmte, als sei der Teufel persönlich hinter mir her, hörte ich das schrille Klingeln an meinem Ohr. Es läutete. Einmal. Zweimal. Nochmal.
    »Geh ran, geh ran«, zischte ich und unterdrückte ein Fluchen.
    Endlich meldete sich jemand. Doch es war nicht Hades. Sondern eine Stimme, dich ich unter tausenden von Stimmen erkannt hätte. »Rechtsmedizin.«
    »Mirella?«, keuchte ich ins Telefon. Sie war in der Akademie! Und sie ging ans Telefon! War Ewald vielleicht gar nicht bei ihr? »Bist du in Ordnung? Sorg dafür, dass die Kühlräume einen Wachschutz bekommen. Ich vermute, dass –«
    »Jakob«, sagte Mirella tonlos. »Er ist hier. Er hat meine Waffe. Du musst –« Sie brach ab.
    »Zu spät, Herr Roth«, sagte stattdessen eine sonore Stimme am anderen Ende. Jemand musste Mirella den Hörer aus der Hand genommen haben.
    Mir gefror das Blut in den Adern. Der Doktor. »Ewald! Hören Sie auf damit, das hat doch keinen Sinn!«
    Ein heiseres Lachen drang an mein Ohr. »Keinen Sinn? Was wissen Sie denn schon von Sinn?« Er hustete röchelnd. »Ich werde zu Ende bringen, was ich angefangen habe. Und Sie werden mich nicht davon abhalten. Das haben Sie damals nicht geschafft. Und jetzt werden Sie es auch nicht.«
    Bei seinen Worten schnürte sich mir die Kehle zu. »Lassen Sie uns reden. Dann können wir –«
    »Hervorragende Idee. Wir sehen uns in den Heilstätten. Beeilen Sie sich, wenn Sie Ihre reizende Freundin lebend wiedersehen wollen. Und kommen Sie alleine. Verstanden? Alleine.«
    Ein Klicken in der Leitung. Die Verbindung war unterbrochen. Ich stand einen Augenblick wie erstarrt vor der Klinik. Eine heftige Übelkeit erfasste mich und ich musste mich zusammenreißen, damit meine Knie nicht nachgaben. Ewald war in der Pathologie. Er hatte Mirella. Und was mit Hades passiert war, darüber mochte ich überhaupt nicht nachdenken.
    Ich musste nach Beelitz.

Kapitel 16
    Der Motor des Jaguars heulte auf, als ich von der Straße abbog und über die knirschenden Kieswege zum Areal der Beelitzer Heilstätten jagte. Die hohen Kiefern warfen lange Schatten und am Himmel lieferten sich Wolken einen düsteren Tanz.
    Mirellas olivgrüner Jetta stand vor einem der verfallenen Gebäude. Ich brachte den Jaguar zum Stehen, sprang heraus und hastete die verfallenen Treppen hinauf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Was, wenn ich zu spät kam? Was, wenn ich nichts mehr tun konnte? Beim Gedanken, dass Mirella etwas zugestoßen sein konnte, krampfte sich alles in mir zusammen.
    Ich brauchte einen Moment, bis meine Augen sich an das Halbdunkel im Inneren gewöhnt hatten. Der Boden war auch hier übersät mit Schutt und Geröll. Durch die zerborstenen Fensterscheiben fiel fahles Licht und der Geruch nach Verfall und Feuchtigkeit umgab mich wie eine zweite Haut. Mein Atem ging keuchend, während ich krampfhaft versuchte, in der Stille des Gebäudes irgendeinen Anhaltspunkt dafür zu finden, wo Ewald und Mirella sich aufhielten. Sekunde um Sekunde verstrich. Alles, was ich hörte, war mein Atem. Und der wilde Schlag meines Herzens.
    »Komm schon, wo steckst du …«, murmelte ich nervös, während ich langsam meine Waffe aus dem Halfter zog. Das kühle Metall der Pistole lag vertraut in meiner Hand.
    Vorsichtig ging ich einige Schritte vor, knirschende Splitter unter meinen Sohlen. Ich hielt mich dicht an der Wand. Es konnte eine Falle sein. Vielleicht hatte Ewald überhaupt nicht vor, mit mir zu sprechen. Es wäre viel einfacher, mich und Mirella umzulegen, auf der Stelle. Doch so schätzte ihn nicht ein. Es machte keinen Spaß, mit toten Mäusen zu spielen.
    Ich blieb stehen und lauschte erneut. Das Rauschen der Kiefern drang durch die zerborstenen Fenster herein. So muss Clara es damals

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