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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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oft nicht schlafen. Ich stöhnte leise auf. Wenn Emilie fernsah, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Nicht jetzt und nicht in den nächsten Stunden. Das Dröhnen des Fernsehers bohrte sich durch die Altbauwände wie ein hartnäckiger Wurm und setzte seine nervtötende Arbeit direkt in meinem Nervensystem fort.
    Ich weiß nicht mehr, wie oft ich in den Anfangsjahren nachts vor Emilies Wohnungstür stand und mir die Fingerknöchel wund klopfte. Sie hörte es nicht. Sie hörte auch nicht die Klingel und nicht die Anrufe, mit denen ich sie etwas später schlau aufzuschrecken versuchte. Meistens war es so, dass Emilie erst vor dem dröhnend lauten Fernseher selig einschlummerte. Und mich damit um die Nachtruhe brachte.
    Nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht, meine Nachbarin ist eine reizende alte Dame. Aber ihre Schwerhörigkeit wird mich früher oder später in den Wahnsinn treiben. Sobald es warm genug ist, weiche ich zum Schlafen auf das Dach aus. Doch daran war jetzt, Anfang April, noch nicht zu denken.
    Entnervt blickte ich auf die Uhr. Es war zwanzig vor drei. Ich stieg aus dem Bett, schlüpfte in Hose, Pullover und Schuhe, angelte den Mantel von der Garderobe und klaubte den Schlüssel aus dem Chaos auf dem Küchentisch. Laut ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen, obwohl ich wusste, es war ein unnützer Protest. Emilie würde es ohnehin nicht hören.
    *
    Manche Wege gehe ich nach 20 Jahren in Berlin vollautomatisch. Und nachts, wenn Emilie dafür sorgt, dass ich nicht schlafen kann, dann gibt es genau zwei Möglichkeiten, wo es mich hinführen kann: in den »Waschsalon«, eine Kneipe in der Nähe meiner Wohnung, oder auf den Bouleplatz direkt um die Ecke. Heute entschied ich mich für den Bouleplatz.
    Ich mag Boule. Und vor allem mag ich die Einsamkeit auf dem Platz. Er liegt am Kreuzberger Paul Lincke Ufer und tagsüber ist dort stets Trubel. Ein Kindergarten ist in der Nähe, Restaurants, Cafés, der Uferweg lockt Jogger an, Ausflugsboote kreuzen im kleinen Kanal. Tagsüber ist der Bouleplatz eine Art Zoo, in dem alle Tiere sich gegenseitig anstarren. Meine Hölle. Nachts aber, da ist er mein stilles und verlassenes Paradies.
    Doch in dieser Nacht war es anders als sonst. Ich war nicht allein. Ich bemerkte die Blicke sofort, auch wenn der Mann, der sie mir zuwarf, auf der Bank am Rande des Platzes fast von den Schatten der Bäume verschluckt wurde. Ich unterdrückte ein leises Stöhnen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Ich war hier, weil ich allein sein wollte. Weil hier immer nur ich war, in der Nacht! Und niemand sonst.
    Gereizt packte ich die Boulekugeln aus und begann zu spielen. Doch die Anwesenheit des fremden Mannes störte meine Konzentration. Fast war es, als könnte ich seine argwöhnischen Gedanken wahrnehmen. Seine Blicke prallten nicht an mir ab, sondern bohrten sich regelrecht in meine Zellen. Ich versuchte zu spielen, ganz für mich, wie ich es immer tat. Doch es ging nicht. Ich spielte so schlecht wie schon seit Jahren nicht mehr.
    Und dann der Geruch nach Rauch. Zigarillos. Zigarettenrauch war schlimm, Zigarren waren schlimmer. Aber dieser süßlich fade Zigarillotabak war die Höchststrafe. Ähnlich wie zu opulentes Parfum führt er bei mir stets zu dem Impuls, mich übergeben zu wollen. Und von Sekunde zu Sekunde fiel es mir schwerer, mich zusammenzunehmen.
    Schließlich reichte es mir. Ich wirbelte auf dem Absatz herum und starrte den Mann an, der noch immer auf der Bank saß. Im gelblich-fahlen Licht der alten Gaslaternen sah er gespenstisch aus. Von seinem Zigarillo kräuselten feine Rauchschwaden, die der noch kalte Frühlingswind zu mir hinübertrug wie ein Bote eine Herausforderung. Der Mann blickte mich nicht an, sondern kritzelte irgendetwas in ein Notizbuch. Für einen kurzen Moment befürchtete ich, es könnte ein von Ernesto Sanchez geschickter Beobachter sein – doch das war wohl paranoid. Nein, auf solche Ideen würde nicht einmal der schnöselige Kubaner verfallen. Und wenn doch?
    Ich beschloss, dem Spuk ein Ende zu bereiten, straffte mich und ging mit energischen Schritten über den Platz. Der Fremde sah erst auf, als ich dicht vor ihm Halt machte. Sein Blick war abwartend. Kühl. Und nicht im Geringsten beeindruckt.
    »Ich glaube, einer von uns ist hier zu viel.«
    Der fremde Mann hob die Brauen. Jetzt, wo ich so dicht vor ihm stand, erkannte ich endlich genauer, mit wem ich es zu tun hatte. Er musste etwa in meinem Alter sein, hatte ein rundes,

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