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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Sie können hier nicht reingestürmt kommen und erwarten, daß ich Ihretwegen mein Berufsethos an den Nagel hänge. Ich...«
    »Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrem Ethos!« fuhr Menemenci sie an. »Ich scheiße auf Ihr Ethos! Fragen Sie mal Solwegyn, was er davon hält. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, hatte man ihn an eine Figur gebunden und damit begonnen, ihm die Haut vom Gesicht zu ziehen. Als ich ihn das zweite Mal sah, hätte man den ganzen Circus Maximus mit ihm ausleuchten können. Ich konnte ihm nicht zusehen beim Verbrennen, ich brannte nämlich selber ein biß‐
    chen hier und da. Verstehen Sie, Frau Gemini? Ich bin nicht im mindesten in der Stimmung, vernünftige Gespräche zu führen!«
    »Dann werden wir nicht weiterkommen.«
    Menemenci starrte sie immer noch an, schwer atmend und mit zusammengezogenen Brauen beziehungsweise dem, was davon übrig war. Dann stieß er heftig den Atem aus und sagte im Tonfall bitterster Enttäuschung: »Ich dachte, Sie stünden auf der Seite des Gesetzes.«
    »Das tue ich«, entgegnete Vera. Erst Wut, dann Frustration. Sie mußte nur warten, bis er sein Repertoire durchgespielt hatte. »Andererseits bin ich kein Automat, gegen den man tritt, damit er Informationen ausspuckt. Mit ist schon klar, daß Sie wegen Solwegyn kommen. Tragisch, was mit ihm passiert ist. Stimmt es, daß er sich mit der Mafia angelegt hat? Es stand zu lesen, sein Haus sei ein einziges Waffenlager gewesen.«
    »Sie sitzen auf einem ziemlich hohen Roß, Frau Gemini.«
    »Oh nein.« Sie funkelte ihn zornig an. »Ich hätte nur gern eine Erklärung.«
    »Die Erklärung ist...« Er hielt inne und fuhr leiser fort: »Die Erklä rung ist, daß die Frau mittlerweile geredet hat. Solwegyns Frau. Sie ist der Meinung, es sei Ihre Schuld, was mit ihrem Mann passiert ist.
    Sie haben sich vorgestern mit Solwegyn getroffen. Stimmt das?«
    »Ja.«
    »Sie haben ihn um etwas gebeten.«
    »Ja.«
    »Um was?«
    »Ich denke, das wird Ihnen Katya Solwegyn berichtet haben.«
    »Ich hätte es gerne noch einmal von Ihnen gehört, falls es keine Umstände macht«, sagte Menemenci mit gespielter Liebenswürdigkeit.
    »Wir haben über Andreas Marmann gesprochen. Ich fragte ihn, ob er Marmann für mich ausfindig machen könne. Er stellte das in Aussicht.«
    »Für dreißigtausend.«
    »Sie wissen ja doch schon alles.«
    »Er wollte Sie anrufen. Hat er das getan?«
    »Ja.«
    »Was hat er gesagt? Herrgott, ich muß Ihnen doch nicht alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen.«
    »Er schien den Kontakt hergestellt zu haben«, sagte Vera widerwillig. »Wir verabredeten uns für gestern abend.«
    »Fahren Sie einen schwarzen Toyota Kombi?«
    »Unter anderem.«
    »Mhm. Dachte ich mir.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und zuckte zusammen. »Jetzt sage ich Ihnen mal was. Falls irgend etwas davon neu für Sie sein sollte, passen Sie gut auf, denn ich wiederhole mich ungern. Wir haben einen Brief in Üskers Unterlagen gefunden. Daraus geht hervor, daß sich fünf Kölner Mitte der Achtziger zusammengetan haben, um der Fremdenlegion beizutreten. Soll ich die Namen aufzählen oder wollen Sie es tun?«

    »Sie überschätzen meinen Kenntnisstand.«
    »Und Sie unterschätzen meine Intelligenz. Ymir Solwegyn, Jens Lubold, Andreas Marmann, Simon Bathge, Mehmet Üsker. Irgendwelche Korrekturen?«
    »Nein.«
    »Wir wissen ferner, daß Üsker und Solwegyn tot sind. Gleiche Handschrift, unterschiedlicher MO.«
    Den Begriff MO hatte der Vater der psychologischen Verbrechensbekämpfung, John Douglas, geprägt, ebenso wie den der Handschrift. MO stand als Kürzel für Modus operandi. Der Modus schloß alle Handlungen ein, die der Mörder während der Tat beging. Oft traten dabei eklatante Unterschiede auf. David Carpenter, einer der legendären Serienmörder in der Geschichte der USA, hatte seine Opfer mal erschossen und mal erstochen, so daß man zeitweise von zwei Tätern ausging. Zu seiner Ergreifung führte letzten Endes die Erkenntnis, daß alle Morde die gleiche Handschrift aufwiesen. Die wiederum war das, was der Täter tun mußte, um sich zu verwirklichen. Die Tatsache, daß Carpenter seine Opfer grundsätzlich erniedrigt hatte, bevor er sie tötete, und wie er das tat, führte zu so genauen Aussagen wie der, daß er offensichtlich unter einer Sprachstörung litt und sehr häßlich war. Die Handschrift war etwas Starres, wie eine Signatur. Sie zu entdecken war eine Kunst, weil sie sich oft hinter Vordergründigkeiten verbarg,

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