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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Sie mir erzählen, worum es geht?«
    Sie überlegte kurz.
    »Angenommen, drei Leute sind in einer einsamen Gegend unterwegs.«
    »Soldaten?«
    »Ja. Sagen wir, in der kuwaitischen Wüste. Sie werden angegriffen.
    Einer wird schwer verletzt, so daß die anderen nicht sicher sind, ob er tot ist. Er liegt im Sand und...«
    »Wie sind diese Leute unterwegs?«
    »Mit einem Jeep.«
    »Was ist mit dem Feind, der sie angegriffen hat ? Greift er weiter an?«

    »Nein. Sie haben ihn vernichtet.«
    »Gut. Bitte weiter.«
    »Also, es ist unklar, ob er tot ist. Einer der beiden im Jeep glaubt es ganz sicher, der andere weiß es nicht hundertprozentig. Sie fahren los und lassen ihn liegen.«
    »Den Verletzten.«
    »Ja.«
    »Der aber gar nicht tot ist.«
    »Richtig.«
    Halm lehnte sich zurück. »Und das Nachspiel?«
    »Jahre später kommt einer der beiden ums Leben. Er wird in seiner Wohnung zu Tode gefoltert. Der zweite schwebt in höchster Gefahr.«
    »Oh. Ich verstehe. Lubold ist zurückgekehrt, um sich zu rächen.«
    »Ja, weil...«
    Vera hielt inne. Was hatte Halm da gesagt?
    »Nein«, korrigierte sie schnell. »Es ist nicht Lubold, der da in der Wüste zurückgeblieben ist, sondern ein anderer. Ich meine, wäre es möglich, daß Lubold ihn...«
    »Rächt? Nein.«
    Was hörte sie sich da bloß für einen Unsinn erzählen? Schon wieder waren Lubold und Marmann zu einer Person verschmolzen. Sie hatte sich verheddert. Sie hatte die Geschichte falsch angefangen.
    »Was möchten Sie denn nun wissen?« fragte Halm freundlich.
    »Tut mir leid. Ich glaube, Sie können mir nicht weiterhelfen.«
    »Mein liebes Kind«, sagte Halm in bedauerndem Tonfall. »Das scheint mir ein sehr schwieriger Auftrag zu sein, den Sie da angenommen haben.«
    »Ja«, flüsterte Vera. »Allerdings.«
    »Nun, offenbar kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen. Ich bin kein Polizist und kein Detektiv. Aber ich kann Ihnen sagen, was mich an der Geschichte, die Sie mir gerade erzählt haben, stört.«
    »Was?«

    »Daß sie ihn liegenlassen. Ob tot oder lebendig.«
    »Sie waren in Panik.«
    »Wenn ein Soldat nicht unmittelbar bedroht wird – und eine unmittelbare Bedrohung heißt, dem Feind quasi in die Mündung zu sehen – hat er keine Veranlassung zur Panik. Wenn ein Jeep bereitsteht, um zwei Männer in Sicherheit zu bringen, wird er auch drei Männer in Sicherheit bringen können. Es hätte sie maximal zwei Minuten gekostet, den Verletzten aufzuladen.«
    »Selbst, wenn er tot war?«
    »Selbst dann. Dieser Ehrenkodex gilt übrigens auch unter Söldnern. Im übrigen ist eine Leiche eine Information über den Feind.«
    Vera schwieg.
    »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Nehmen Sie sich mehr Zeit, um Ihren Fall zu reflektieren. Das Vermögen der Reflektion ist uns verlorengegangen. Selektieren Sie Ihre Informationen in unmöglich, möglich, wahrscheinlich und zutreffend. Achten Sie auf Kleinigkeiten.«
    »Ich verstehe Sie nicht ganz.«
    Er seufzte.
    »Verzeihen Sie. Ich neige ein bißchen zur Schulmeisterei. Ich vermute nicht, daß Sie je etwas von mir gelesen haben?«
    »Ich muß gestehen ...«
    »Macht nichts.« Er stand auf, lief zu einer wandfüllenden Bibliothek und zog ein Buch hervor, das er ihr brachte.
    »Ein Geschenk«, sagte er und lachte sein feines Lachen. »Vielleicht kommen Sie beim Blättern zu dem einen oder anderen Schluß, da Sie ja offenbar kein Aquarium besitzen.«
    Vera dankte ihm und betrachtete das Buch. Es war nicht sonderlich dick. Die Titelseite zeigte den Himmel über Bagdad, wie er in der ersten Nacht des alliierten Angriffs ausgesehen hatte. Vera erinnerte sich dunkel der Stimme eines Reporters, der das bizarre Szenario vom Fenster des Rashid Hotels aus mitverfolgt hatte: >Es sieht aus, als seien die Sterne selber in Bewegung geraten.< Darüber stand in schmucklosen Buchstaben:
    STEPHAN HALM ‐ DAS ENDE DER VERANTWORTUNG
    »Dieses Feuerwerk am Himmel«, sagte Halm und wies auf die wei ßen Blitze über der Stadt, »waren irakische Luftabwehrraketen. Sie haben blind um sich geschossen, weil sie hofften, auf diese Weise wenigstens einige der alliierten Bomber herunterholen zu können.«
    »Und? Ist es ihnen gelungen?«
    Halm schüttelte den Kopf. »Nein. Es waren überhaupt keine oben. Der irakische Radar war gestört, und wo er scheinbar funktionierte, zeigte er die Flugbahnen von Bombern an, die gar nicht unterwegs waren. Die Alliierten haben diese Flugbahnen simuliert. Der eigentliche Angriff erfolgte erst fünfundzwanzig

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