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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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vielmehr über sich selber. Das war nicht ihr Auftrag.
    Bathge hatte zur Bedingung gemacht, daß sie sich nicht in seine Angelegenheiten mischte, sondern schlicht und einfach diesen Marmann fand.
    Warum saß sie jetzt da und machte sich Gedanken über den weggeschnittenen Teil eines Fotos, wenn sie für den sichtbaren Teil bezahlt wurde ?
    Wer war Simon Bathge?
    Sinnlos, die Frage.
    Wer ist Andreas Marmann, daran sollte sie sich halten. Nein, anders: Wo ist Andreas Marmann? Nichts weiter. Wo? Ah, hier! Danke bitte. Ciao!
    So hatte das abzulaufen.
    Damit er mich nicht findet...
    Was war denn so schlimm daran, von Andreas Marmann gefunden zu werden?
    Vera drehte das Foto um, aber die Rückseite war glatt und leer. Sie vermutete, daß Roth zu denselben Schlüssen gekommen war wie sie. Sie pflegten eine innere Verwandtschaft. Wenn Vera aus dem abgeschnittenen Teil des Fotos folgerte, daß Bathge ihr etwas oder jemanden vorenthalten wollte, würde Roth das genauso sehen.
    Sie nahm sich vor, mit ihm darüber zu reden. Alles konnte wichtig sein.
    Andererseits ...
    Vielleicht war das Foto schon ein Fragment gewesen, lange bevor Bathge beschlossen hatte, sie mit der Suche nach Marmann zu beauftragen.
    Sie hatte kein Recht, seine Motive auszuloten.
    Aber konnte sie ihm vertrauen?
    Gab es überhaupt jemanden, dem sie vertrauen konnte außer Thomas Roth?
    Die immer gleiche Frage. Die immer gleiche Antwort.

15.50 Uhr. Menemenci
    Stell dir vor, das Dach platzt auf und eine riesige rosa Zunge entrollt sich in das Polizeipräsidium am Waidmarkt. Sie windet sich durch die zahllosen Gänge, einer wie der andere. Wen immer sie streift, der bleibt an ihr hängen, wild zappelnd, bis Hundertschaften an ihr kleben und sie sich, schwer von Beute, wieder herauszieht und die schreienden Körper einem monströsen Maul einverleibt.
    Arik Menemenci klemmte Fotos vom Tatort Lindenstraße auf eine Metallschiene und fühlte sich verspeist.
    Er hatte von dieser Zunge geträumt. Mehrfach. Er war zu einem befreundeten Psychologen gegangen und hatte ihm von den Träumen erzählt. Der Psychologe kannte seinerseits einen Traumforscher und erzählte dem die Träume weiter.
    Darum wußte Menemenci mittlerweile, was die Zunge symbolisierte.
    Hilflosigkeit. Ohnmacht.
    Genau das, was er augenblicklich empfand.
    Es gab Verbrechen, die Menemenci verstand. Er begriff die absurde Notwendigkeit bewaffneter Überfälle. Er konnte Prostitution, Betrug und Unterschlagung nachvollziehen. Insgeheim hatte er den einen oder anderen eingeschlagenen Schädel gebilligt, wenn die Opfer schlimmer gewesen waren als die Täter. Wer die Not der Gepeinigten mitempfand, lief Gefahr, sich an ihrem Haß zu berauschen. Menemenci wußte das und versuchte, die Gerechtigkeit den Paragraphen zu entreißen, ohne selbstgerecht zu sein. Es war ein Gang auf Messers Schneide, aber es konnte funktionieren.
    Und dann gab es die unbekannte, fremde Welt, durch die er taumelte wie ein Blinder, unfähig, auch nur das geringste zu begreifen.
    Selbst wenn es ihm gelang, die Ungeheuer darin dingfest zu machen und bis ans Ende ihres Lebens einzukerkern, blieben sie fremde Wesen. Einen Verrückten einzusperren hieß, seinen Körper hinter Schloß und Riegel zu bringen. Seine Seele blieb unfaßbar.

    Derjenige, der Mehmet Üsker zwischengehabt hatte, war ein Ungeheuer. Vor allem aber war er Üsker völlig fremd. Hier lag das Problem.
    Warum war ein Ungeheuer ein Ungeheuer?
    Es mochte Gründe geben, Üsker zu töten. Vielleicht sogar verständliche.
    Nicht aber, ihm das anzutun.
    Das Telefon schreckte Menemenci aus seinen Gedanken.
    »Haben Sie die Zeitung gelesen?« fragte Krantz.
    »Wozu?«
    »Die reinste Prosa: Der Lindenschlächter: Schlimmer als der Teufel!«
    »Was zum Teufel ist ein Lindenschlächter?«
    »Das, was sich die Presse unter einem Schlächter aus der Lindenstraße vorstellt. Halt ein Lindenschlächter.«
    »Die sind ja nicht gescheit.«
    »Das war erst die Headline. Ich zitiere weiter: Mehmet Üsker, über dessen schrecklichen Foltertod wir vergangene Woche exklusiv berichteten, mußte noch weit schlimmere Qualen erdulden als bislang angenommen.
    Informationen aus dem Pathologischen Institut der Stadt Köln zufolge wurde ihm die Haut ...«
    »Wieso denn das Pathologische Institut? Die haben nie im Leben irgendwas gesagt!«
    »Anscheinend doch. Aber das beste kommt noch. Angeblich warʹs die PKK.«
    »Was? Die ist verboten!«
    »Wenn sie verboten ist, dann ist sie ja nicht weg.«
    »Und

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